Mehr Melodie, weniger Meinung!

Zugegeben: das mit einem unpolitischen ESC wird schwierig. Aber was wäre, wenn es ginge? Wenn alle mitmachen und sich darauf beschränken würden, worum es beim „Song Contest“ eigentlich mal ging? Um das beste Lied.

Den politischen ESC und seine Abhängigkeitsverhältnisse kann niemand verstehen. Gut, alle lieben die Ukraine. Die Skandinavier schanzen sich gegenseitig die Punkte zu. Das Baltikum versammelte sich früher geschlossen hinter Russland. Vorbei. Trotz meiner Magisterarbeit über den Jugoslawienkrieg verstehe ich nicht, wer auf dem Balkan für wen stimmt und gegen wen. Und bekommen wir aus der Türkei jetzt null oder zwölf Punkte? Israel, hoch kompliziert! Von Australien will ich gar nicht anfangen – was weiß ich denn, wo wir sicherheitspolitisch derzeit im südpazifischen Raum stehen. Zum Glück ist China nicht dabei.

Mal ehrlich, wie schlecht politischer Austausch mit schmaler Expertise, beschränktem Rahmen und umso größerer Agenda funktioniert, das sehen wir jeden Tag auf der Plattform X. Wir verlieren inzwischen aus den Augen, dass das mal ein Wettstreit der Melodien war und nicht der Meinungen. Den man auch ohne Habilitation in Politikwissenschaft verstehen konnte. Wo jede Stimme zählt, aber doch nicht wie im EU-Parlament.

Was dieser Eurovision Song Contest sein könnte, wenn er denn wollte, wäre eine Oase des Unpolitischen. Es wäre so erholsam, für uns alle. Ein musikalischer Wellnessraum. Ein großes europäisches Lagerfeuer, an dem wir alle die Klampfen herausholen und singen statt skandieren. Ein bisschen Frieden eben.

Und bitte nicht falsch verstehen: Es geht mir nicht um den letzten Platz für Deutschland. Wenn unser Beitrag alljährlich so räudig ist, dass ganz Europa uns auslacht, dann bitte: Lasst uns mit Pauken und Trompeten untergehen. Jedes Jahr. Es könnte mir bratwurstiger nicht sein. Aber dass wir aus einem Song Contest einen gratis-mutigen Popularitätswettbewerb politischer Ideen gemacht haben, das hat mir die Freude am ESC verdorben.

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