Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gilt in seiner Partei oft als Querschießer, weil er sagt, was viele Menschen in seinem Bundesland denken. Ist er damit eine Belastung für den CDU-Vorsitzenden?

Im großen Kultursaal der Ortsgemeinde Triebel in Sachsen ist am Dienstagabend viel los. Die Stuhlreihen sind schnell besetzt, wer zu spät kommt, muss an die Wand gelehnt stehen. Nicht schlimm, sagt einer der Gäste. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, den Ministerpräsidenten zu treffen?

Michael Kretschmer ist an diesem Abend zum Bürgerdialog im Vogtland. Das Format macht der sächsische Ministerpräsident seit 2018. Es kommt gut an. Er steht vorne, das Publikum darf Fragen stellen. Rund 90 Minuten, dann gibt es belegte Brötchen, Bratwurst und Bier. Für die Besucher kostenlos, versteht sich.

Ein Mann meldet sich und tritt ans Mikrofon: „Herr Kretschmer, erst mal Respekt dafür, wie Sie sich für sächsische Interessen einsetzen“, sagt er. Er wisse, dass der CDU-Politiker dafür Gegenwind bekomme, auch von der eigenen Parteispitze. Er sei selbst lange konservativer CDU-Wähler, erzählt er, macht eine Pause und fügt dann hinzu: „gewesen“. „Halten Sie durch“, sagt er noch.

Kretschmer weiß, dass der Mann kein Einzelfall ist. Viele derjenigen, die sich im Laufe des Abends melden, werden sich ähnlich äußern. Für die CDU in Sachsen ist das im Wahlkampf genau das Problem.

Michael Kretschmer ist seit Dezember 2017 Ministerpräsident von Sachsen. Im September will der CDU-Politiker aus Görlitz wiedergewählt werden. Sein Dilemma: nach der Wahl eine Mehrheitsregierung zu bilden. Denn während die AfD im Freistaat mit einem Stimmenanteil von mehr als 30 Prozent stärkste Kraft werden könnte, drohen die derzeitigen Koalitionspartner von Kretschmer, SPD und Grüne, aus dem Landtag zu fliegen. Beide stehen in den Umfragen derzeit bei sechs Prozent. Um drinzubleiben, brauchen sie mindestens fünf.

Eine heikle Situation. Denn die CDU will einerseits versuchen, möglichst stark zu werden, im besten Fall vor der AfD zu landen. Und gleichzeitig hat Kretschmer kein Interesse daran, am Ende ohne Partner dazustehen.

Bei der Direktwahl in den Umfragen klar vorn: Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)

Hinzu kommt, dass die Persönlichkeitswerte des Ministerpräsidenten zwar gut sind. Bei einer möglichen Direktwahl würden 58 Prozent der Befragten den Amtsinhaber wählen, während gerade mal 17 Prozent für Jörg Urban von der AfD wären. Allerdings erfährt die CDU insgesamt deutlich weniger Zustimmung (29 Prozent).

Das dürfte auch daran liegen, dass Kretschmer oft anderer Meinung ist als Teile seiner Parteispitze – und das kundtut. Immer wieder schert er aus, grenzt sich bewusst ab, etwa wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht.

In Sachsen feiern sie Kretschmer dafür. In Berlin ärgern sich hingegen Parteimitglieder immer wieder über seine Aussagen, auch im Konrad-Adenauer-Haus. Die Frage, die sich dieser Tage im Wahlkampf stellt, ist: Schadet Kretschmer am Ende Friedrich Merz und der CDU im Bund? Oder andersrum?

Am Dienstag bleibt Kretschmer nach der Fragerunde in Triebel noch länger vor Ort. Im Innenhof des Kultursaals steht er vor der Bierzeltgarnitur, zieht genüsslich an seiner Zigarette, kneift dabei die Augen ein bisschen zusammen. Tagsüber raucht er nicht. Nur abends. Quasi als Belohnung für den Tag. „Noch ein Bier?“, fragt ihn jemand. „Och, wieso nicht“, sagt Kretschmer mit Blick auf sein leeres Glas. Dann setzt er sich in eine Runde – und redet.

Für Ministerpräsidenten sind Termine wie diese in aller Regel sehr dankbar. Man pflegt den Austausch, zeigt sich menschlich. Meistens sieht der Ablauf so aus: Ankommen, Vorgespräch, dann Fragen, ein paar Selfies, Abfahrt.

Kretschmer hingegen bleibt, bis keiner mehr zu ihm kommt. Er ist froh um jeden, der noch reden will. Wohl auch, weil unter den Besucherinnen und Besuchern an diesem Abend ein paar sind, die die AfD wählen dürften. Immer wieder kommt in der Debatte die Frage auf, warum die CDU eine Koalition mit der Partei ausschließe. Ob man den Wählerwillen wirklich so ignorieren könne. „Sie hätten mit denen doch viel mehr Schnittstellen als mit den Grünen“, sagt ein Mann und bekommt großen Applaus.

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