Die Zukunft der Europäischen Union ist für die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer seit langem ein zentrales Thema. Zuvor war sie Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und sitzt im Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Sie ist außerdem Mitglied der von der deutschen und der französischen Regierung eingerichteten Arbeitsgruppe zu EU-Reformen. Im Interview sprach sie über die Europawahl, die Herausforderungen der EU und die Stärken der Union.

Professor Schwarzer, welche Bedeutung haben Europawahlen im Vergleich zu nationalen Wahlen in Deutschland und anderen EU-Ländern?

Wenn im Juni über 400 Europäer ihr neues Parlament wählen, geben sie den Kurs vor, den die EU in den nächsten fünf Jahren einschlagen wird. Sie werden ihre neuen Vertreter wählen, die über die Mitglieder der Europäischen Kommission und andere führende EU-Positionen abstimmen. Das Europäische Parlament spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verabschiedung von Gesetzen, dem EU-Haushalt und bei internationalen Abkommen. In vielen Bereichen entsprechen seine Befugnisse denen der Regierungen im Ministerrat.

Deshalb ist es wichtig, dass Sie am 9. Juni Ihre Stimme abgeben. Bei den letzten Europawahlen im Jahr 2019 war es großartig, dass die Wahlbeteiligung europaweit bei 50,6 % lag. Das war der höchste Wert seit 1994, vor allem weil junge Menschen wählen durften und für viele von ihnen das Klima Anlass zu großer Sorge gab. Jetzt kommt es darauf an, sie im Jahr 2024 erneut zu mobilisieren, denn in vielen EU-Staaten – darunter auch in Deutschland – können erstmals 16-Jährige wählen.

Glauben Sie, dass die Wahlen in der von Ihnen beschriebenen Weise als Weichenstellung für Europa gesehen werden?

Es bleibt schwierig, den Fokus auf die großen gemeinsamen Herausforderungen der Zukunft zu richten, wenn Kampagnen weiterhin auf nationaler Ebene fokussiert und durchgeführt werden. Obwohl dies die zehnte Europawahl ist, gibt es keinen einheitlichen Wahltag und das Wahlalter variiert zwischen 16 und 21 Jahren. Die Wähler geben ihre Stimmen auch für nationale Kandidaten auf nationalen Listen nationaler Parteien ab. Es gibt keine europäischen Parteien. Die Europawahlen im Jahr 2024 könnten wieder zu einer Möglichkeit werden, die Meinung der Wähler über nationale Regierungen zu messen, ähnlich einer Art vorgezogener Bundestagswahl in Deutschland. Angesichts der enormen politischen Probleme und Risiken wäre jetzt jedoch der richtige Zeitpunkt für ein gemeinsames politisches Narrativ und einen europaweiten Wahlkampf.

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