Man kann so oder so auf die innenpolitische Krise in Israel blicken. Manche glauben, die Justizreform sei unmittelbar mit der Person Benjamin Netanjahus verknüpft – der Ministerpräsident versuche, sich den Korruptionsprozess vom Halse zu schaffen, der gegen ihn läuft. Andere sehen einen Zusammenhang mit der israelischen Besatzung im Westjordanland, welche die religiösen Zionisten in Netanjahus Koalition ungestört ausweiten wollen. Für wieder andere ist der gegenwärtige Konflikt eine Front in einem seit Jahrzehnten währenden Kampf zwischen dem säkularen Teil der Gesellschaft und den ultraorthodoxen Juden, die Israel in ein enges religiöses Korsett schnüren wollen.
Christian Meier
Politischer Korrespondent für den Nahen Osten und Nordostafrika.
Eine vierte Betrachtungsweise geht von einem anderen Gegensatz aus: dem zwischen den Juden, die aus Europa eingewandert sind, und denjenigen, die aus dem Nahen und Mittleren Osten stammen. Letztere, die sogenannten Mizrachim, seien jahrzehntelang von den Aschkenasim unterdrückt worden, bis heute seien sie schlechter gestellt. Aus diesem Grund unterstützten mizrachische Wähler heute Parteien, deren Positionen im Gegensatz zu den liberalen, säkularen, kosmopolitischen Werten des europäischstämmigen Judentums stünden. Die gegenwärtige Regierung – die rechteste, die das Land je gesehen hat – sei gewissermaßen die „Rache“ der orientalischen an den westlichen Juden.