Am liebsten würde sich Olaf Scholz in dieser Woche wohl ins Weiße Haus zu Joe Biden beamen. Kenner der Science-Fiction-Serie „Star Trek“ wissen, dass damit der Einsatz eines Teleporters gemeint ist, der dafür sorgt, dass ein Mensch an einer Stelle verschwindet und nach wenigen Sekunden an einer anderen wieder auftaucht. Leider ist diese Zukunftstechnik so unausgereift, um das Mindeste zu sagen, dass der Kanzler oder sonst irgendwer sie nicht nutzen kann. Auch das Reisen inkognito ist für den Regierungschef nicht möglich. Deshalb fliegt er an diesem Donnerstag von Berlin aus mit dem Regierungsflugzeug nach Washington. Allerdings in ungewöhnlichem Format, ohne größere Delegation und ohne Journalisten. Denn Scholz will mit dem amerikanischen Präsidenten ausführlich unter vier Augen reden.
Majid Sattar
Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.
Das hätten beide schon länger besprochen, heißt es im Kanzleramt. Und weil mit dem Fortschreiten des Jahres der amerikanische Wahlkampf immer mehr Fahrt aufnimmt, haben sich beide für den Termin Anfang März entschieden. Ein Gespräch von mindestens zwei Stunden hat das Weiße Haus dem Kanzler angeboten, und diese Zeit will er am Freitagnachmittag komplett nutzen, ohne dass er eine folgende Pressekonferenz einplanen muss. Zumal er nicht darauf erpicht ist, die Inhalte des Gesprächs öffentlich mitzuteilen. Nur ein CNN-Interview ist noch zugesagt.
Scholz schätzt Gespräche unter vier Augen, bei denen nicht einmal die Regierungssprecher oder außenpolitischen Berater dabei sind. Als er im Februar vergangenen Jahres seinen Antrittsbesuch bei Biden machte, da sprachen Präsident und Kanzler eine Stunde lang zu zweit. Das darauffolgende halbstündige Treffen beider Delegationen in einem engen Raum verlief indes so zäh, dass sich in der deutschen Delegation die größten Sorgen um das Gelingen des Besuchs breitmachten. Doch Scholz soll gesagt haben, er habe mit Biden eines der besten politischen Gespräche erlebt, die er je geführt habe.
Biden entwickelt seine Politik selbst
Dieses Gespräch legte die Grundlage für das Verhältnis zwischen Präsident und Kanzler. Scholz erlebt Biden als einen Politiker, der die Welt mit einem von großer eigener Erfahrung geprägten Blick betrachtet. Und der seine Politik selbst entwickelt, nicht unbedingt das tut, was ihm seine Berater empfehlen. Der die Meinungen anderer anhört, aber selbst entscheidet. Scholz bewundert das, und das hat wiederum damit zu tun, dass der Kanzler sich selbst auch so sieht.
Auch in ihrem politischen Denken stehen sich beide nah. Als Scholz 2017, damals noch Hamburger Bürgermeister, sein Buch „Hoffnungsland“ veröffentlichte, zitierte er eine Rede, die Biden auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ein Jahr zuvor gehalten hatte, über eine ganze Seite: Biden sprach über die Globalisierung und darüber, dass sie vielen Menschen das Gefühl der Entfremdung beschert habe. Menschen müssten aber die Chance haben, „ein ordentliches Leben zu führen, und den Respekt und die Würde, die ein guter Job mit sich bringt“. Wenn die Leute, die hart arbeiteten, diese Chance nicht mehr hätten, dann machten sich Angst, Frust und Zorn breit. Das sei der Nährboden für fremdenfeindliche, nationalistische und isolationistische Ansichten. „Und das gefährdet den sozialen Zusammenhalt in all unseren Ländern“, so Biden. Die Rede klingt wie eine Blaupause für den Respekt-Wahlkampf, den Scholz 2021 geführt hat.