Von der Leyen will Chinapolitik der EU neu ausrichten

Mitte nächster Woche reist Ursula von der Leyen nach China, es wird ihr erster Besuch als Kommissionspräsidentin sein. Dagegen war sie schon zweimal im Oval Office. Mit der Pandemie allein lässt sich das nicht erklären. Der chinesische Staatschef Xi Jinping hatte ja schon Besucher aus Europa zu Gast: Bundeskanzler Olaf Scholz, Ratspräsident Charles Michel, gerade war der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez bei ihm.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Von der Leyen war nicht Pekings erste Priorität, so kann man das übersetzen, und ihr selbst war der Schulterschluss mit Amerika wichtiger. Am Donnerstag hat sie ihre eigene Linie gegenüber Peking in aller Klarheit dargelegt. Es ist eine harte, konfrontative Linie, auch wenn die Kommissionspräsidentin keinen völligen Bruch will.

China, das wird schon in ihrer „nüchternen“ Bestandsaufnahme der Beziehungen klar, sieht sie in erster Linie als strategischen Rivalen, nicht als Partner oder Wettbewerber, wie es die in Brüssel geprägte Trias will. Sie belegt das nicht nur mit der zunehmenden Repression im Land, den „schweren Menschenrechtsverletzungen“ in Xinjiang. Sie verweist auch auf die militärische Bedrohung Taiwans, die Aufrüstung des Landes, die auch den Seehandel bedrohe, und Versuche, andere Länder etwa durch Handelsbeschränkungen zu erpressen, wie Aus­tralien nach seinen Nachfragen zum Ursprung von Corona.

Von der Leyen: China untergräbt „Logik freier Märkte“

Vor allem aber der Pakt mit Russland ist ihr ein Dorn im Auge; der spreche Bände, was Russlands Vision für die internationale Ordnung angehe. Xi habe daran trotz des russischen Überfalls auf die Ukraine festgehalten, und nun nutze er die Schwäche Putins aus. Sie erinnert an die Parteitagsrede des chinesischen Staatschefs. Der habe sein Volk auf den „Kampf“ eingeschworen und wolle es bis 2049 zum mächtigsten Land der Welt machen.

Aus dieser Lagebeschreibung zieht von der Leyen drei Schlussfolgerungen. Erstens sei die Epoche der Öffnung und Reform Chinas vorüber, es sei „in eine neue Ära der Sicherheit und der Kontrolle getreten“ – also eine Zeitenwende auch dort. Zweitens untergrabe dies „die Logik freier Märkte und offenen Handelns“. Ihre dritte Schlussfolgerung lautet, „dass das klare Ziel der Kommunistischen Partei ein systemischer Wandel der internationalen Ordnung ist, in deren Mittelpunkt China steht“. Das ist hart formuliert und entspricht der in Washington vorherrschenden Deutung: Der Westen befindet sich mit Peking in einem systemischen Wettbewerb um Macht und Einfluss. Ist dann nicht die Entkoppelung von China die logische Konsequenz?

Diese Frage verneint von der Leyen und setzt sich damit von den China-Falken in Amerika ab. „Es ist weder umsetzbar noch im Interesse Europas, sich von China abzukoppeln“, sagt sie. „Deshalb müssen wir uns auf die Risikominderung anstatt Entkoppelung konzentrieren.“ Statt „de-coupling“ setzt sie auf „de-risking“ – wie es auf Englisch heißt. Das ist die Botschaft, mit der sie nach Peking fährt – andernfalls würden Gespräche ja auch wenig Sinn ergeben. Allerdings sind die Felder der Zusammenarbeit, die nach der Analyse noch übrig bleiben, begrenzt. Sie spricht von „einigen Inseln der Chancen“: Klimawandel, Gesundheitspolitik, der Nichtverbreitung von Atomwaffen.

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