Virologe Klaus Stöhr hält Einreisetests für unnötig

Heute beraten die EU-Staaten über einheitliche Regelungen für die Einreise aus China, zum Beispiel verpflichtende Tests. Ist das aus epidemiologischer Sicht sinnvoll?

Das Interessante bei diesen Forderungen ist, dass keine Zielsetzung genannt wird. Vermutlich sollen sie verhindern, dass Coronaviren eingeschleppt werden, aber das ist übertrieben. 2019, vor der Pandemie, reisten pro Tag etwa 16.000 Chinesen nach Westeuropa. In einer Worst-Case-Schätzung könnte man davon ausgehen, dass etwa ein Drittel der Passagiere aus China infiziert ist, das wären also selbst bei hohen Einreisezahlen etwa 6000 Infizierte am Tag. Allein in Deutschland haben wir aktuell um die 30.000 Fälle am Tag, in ganz Westeuropa vielleicht 100.000. Dagegen sind 6000 Infizierte, die aus China einreisen könnten, lächerlich wenig.

Die Corona-Welle in China ist für uns also ungefährlich?

Das Virus zirkuliert in Europa so stark wie in China, aber hier trifft es auf eine immunisierte Bevölkerung. Deshalb sehen wir nicht so starke Auswirkungen. Zu glauben, es käme eine neue Welle auf uns zu wegen der im Verhältnis so wenigen einreisenden Infizierten, scheint mir schlecht recherchiert. Man sollte fragen, ob die geforderten Maßnahmen zur Eindämmung notwendig, verhältnismäßig und wirksam sind. Notwendig sind sie nicht, weil das Virus hier auch zirkuliert. Verhältnismäßig und wirksam sind sie auch nicht, weil wir gerade viel mehr Kranke mit Influenza und RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus, Anm. d. Red.) haben. Etwa zwei Drittel der Infizierten mit Atemwegserkrankungen bei uns haben Influenza, Corona dagegen nur neun Prozent. Es wäre also viel verhältnismäßiger und wirksamer, Einreisende auf Influenza zu testen.

Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe, aufgenommen in einem Buchladen in München am 8. Juni 2022


Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe, aufgenommen in einem Buchladen in München am 8. Juni 2022
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Bild: dpa

Ein großer deutscher Flughafen ist zum Beispiel in Frankfurt, also in Hessen. Hier gibt es keine Isolationspflicht mehr, auch ein positiver Test bei der Einreise würde – Stand jetzt – nicht zu einer Quarantäne führen.

Damit sprechen Sie die zweite Ebene an, nämlich ob die Maßnahmen praktikabel sind. Selbst wenn man Einreisetests umsetzen würde, würden sie nicht wirken, weil es zum Beispiel keine Isolationspflicht gibt. Sie sind also nicht praktikabel.

Ist die Sorge berechtigt, es könnten in der aktuellen Infektionswelle neue Varianten entstehen?

Wo würde denn eine neue Variante entstehen, vor der wir Angst haben müssten? Also solche, die ihre biologischen Eigenschaften ändern, aggressiver sind, sich leichter übertragen oder im schlimmsten Fall die Immunität unterlaufen? Sie würde dort entstehen, wo die Immunität schon besteht. Die höchsten Immunitätsraten haben wir in Europa und in Nordamerika, nicht in China. Es ist also viel wahrscheinlicher, dass hier bei uns eine neue Variante entsteht.

Könnten Einreisetests nicht trotzdem vor drohenden Wellen oder neuen Varianten warnen?

Eine neue Variante würde uns so oder so innerhalb von Tagen erreichen, denn auch negativ getestete und asymptomatische Personen können das Virus übertragen, und etwas Reiseverkehr gibt es immer. Aktuell sehen wir das in den USA, dort breitet sich eine neue Untervariante von Omikron aus. Die Impfstoffe wirken dagegen aber noch gut, und auch wer mit Omikron infiziert war, hat weiterhin einen guten Schutz. Die Impfstoffe wird man sicherlich anpassen, aber das dauert etwa sechs Monate. Wenn man eine Woche eher weiß, dass es eine neue Variante gibt, spielt das für die Impfstoffentwicklung oder den Schutz keine Rolle.

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