Die tunesischen Behörden haben nach Informationen von Menschenrechtlern damit begonnen, afrikanische Migranten in großer Zahl aus der Hafenstadt Sfax an die libysche und algerische Grenze zu deportieren. Nach Angaben der tunesischen Menschenrechtsorganisation FTDES werden sie mit Bussen an die Grenze gebracht und „an menschenleeren Orten bei Temperaturen von fast 50 Grad ohne jegliche Unterstützung ausgesetzt“. Unter ihnen sind demnach zahlreiche Frauen und Kinder. Ihre Mobiltelefone seien zerstört worden, es sei zu Misshandlungen gekommen. Von zwei Gruppen von jeweils mehr als 20 Migranten fehle jede Spur. Ziel der Aktion, die am vergangenen Wochenende startete, ist laut lokalen Berichten, Sfax von allen Menschen subsaharischer Herkunft zu „säubern“.
Sfax und die Strände in der Nähe sind zum wichtigsten Abfahrtsort nach Europa geworden, mehr als 34.000 Migranten brachen in diesem Jahr schon von dort auf. In der zweitgrößten Stadt Tunesiens hatten zuletzt die Proteste gegen die Migranten und gewaltsame Zusammenstöße zugenommen. Dabei waren ein junger Mann aus Benin und am 3. Juli ein Tunesier ums Leben gekommen; er wurde angeblich von drei Migranten aus Kamerun erstochen.
Aus Sfax wurde von einer regelrechten Jagd auf Migranten berichtet, die von ihren Vermietern oft vor die Tür gesetzt wurden. Bürgerwehren hätten sich gebildet, die auf den Straßen Barrikaden errichteten und Reifen verbrannten. Auf Videos, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, war zu sehen, wie eine aufgebrachte Menge versuchte, Türen einzutreten und ein Gebäude in Brand zu setzen. Einige Migranten suchten vor einer Moschee Schutz, andere versuchten Sfax per Bahn oder Bus zu verlassen.
Kinder trinken aus Verzweiflung Meerwasser
Die tunesischen Behörden bestreiten offiziell die Deportationen. Der Parlamentsabgeordnete Moez Barkallah aus Sfax sagte jedoch der staatlichen Nachrichtenagentur TAP, allein bis Mittwoch seien etwa 1200 Migranten an die Grenzen gebracht und nach Libyen und Algerien abgeschoben worden. Bis zum Ende der Woche würden weitere 4000 folgen. Nach Recherchen der Menschrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) brachten tunesische Sicherheitskräfte zwischen dem 2. und 6. Juli mehrere Hundert Migranten aus Subsahara-Afrika auf brutale Weise in eine abgelegene militärische Sperrzone an der Küste an der libyschen Grenze und überließen sie dort ihrem Schicksal.
In Telefongesprächen berichteten einige von ihnen, dass mehrere Menschen im Grenzgebiet umgekommen oder getötet worden seien, Frauen seien vergewaltigt worden. Es gebe nichts zu essen, Kinder würden aus Verzweiflung Meerwasser trinken.
Zu den etwa 700 Deportierten gehörten auch Afrikaner mit einem Aufenthaltsrecht in Tunesien und bei UNHCR registrierte Asylbewerber. In der Pufferzone bei Ben Guerdane durften sie demnach weder nach Libyen einreisen noch nach Tunesien zurückkehren. Ein großer Teil der Afrikaner in Sfax hatte den gefährlichen Weg über Libyen vermieden, wo Migranten immer wieder misshandelt oder wie Sklaven gehalten worden waren. Sie reisten stattdessen über Algerien nach Tunesien ein, das wiederum selbst hart gegen afrikanische Migranten durchgreift. In der Vergangenheit wurden sie in die Wüste gebracht und dort an der Grenze zu den afrikanischen Nachbarländern ausgesetzt.
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Der tunesische Staatspräsident Kaïs Saïed betonte in dieser Woche, dass sein Land weder ein Transit- noch ein Aufnahmeland sei. Zuvor hatte er seinen Innenminister angewiesen, gegen Migranten vorzugehen, die Tunesier „terrorisieren“. Die EU verhandelt mit Tunesien über ein umfangreiches Hilfspaket; im Gegenzug soll Tunis im Kampf gegen die irreguläre Migration enger kooperieren.
Zu den jüngsten Vorkommnissen kam aus Brüssel jedoch nur die Erinnerung, dass die Migrationspartnerschaft auf der Achtung der Menschenrechte beruhe.