Spott über die Grünen ist Bigotterie

So leicht wird die „Letzte Generation“ nicht aufgeben. Sie will ihren Aktionsradius ausdehnen und in „jede Stadt und jedes Dorf“ tragen. Gelingt ihr das, wird der „zivile Widerstand“ die Deutschen noch eine Weile begleiten. Die Protestbewegung hat dafür mittlerweile die finanziellen und logistischen Mittel. Oder ist die Ausdehnung nur ein Zeichen von Masse statt Klasse?

Dagegen spricht, dass die Protestbewegung von Sympathien getragen wird, die sie nicht nur in der jungen Generation genießt. Die dürften mindestens so groß sein wie die für die Bewegung „Fridays for Future“, von der allerdings nicht mehr allzu viel zu hören ist. Auch das wird die „Letzte Generation“ in ihrem Eifer bestärken.

Den Grünen werden diese alten und neuen Protestformen nur allzu bekannt vorkommen. Neu ist für sie die Erfahrung, dass sie selbst jetzt in die Rolle derer gezwungen werden, die sie früher bekämpft haben, die „Konservativen“. Das sind sie jetzt deshalb, weil sie sich an bewährte (parlamentarische) Verfahren, an das „System“ angepasst haben. Das heißt auch: Kompromisse inbegriffen, und zwar auch in der Energie- und Klimapolitik.

Wie angepasst sind die Grünen?

In Lützerath hat diese politische Assimilierung zum ersten Mal zu einer Konfrontation zwischen Klimabewegung und Grünen geführt. Die Partei gilt dem radikalen Nachwuchs als Verräterin. Wollen „angepasste“ Grünen diesem Vorwurf entgehen, müssen sie sich in der Kunst üben, an der Abbruchkante des Braunkohletagebauchs gegen die Beschlüsse zu demonstrieren, die sie selbst zuvor noch in Parlamenten unterstützt, ja herbeigeführt haben. Paradebeispiel: Kohleausstieg nicht erst 2038, sondern schon 2030.

Hohn und Häme sind den Grünen also sicher. Darin steckt allerdings von zwei Seiten her eine gehörige Portion Ungerechtigkeit. Die ökoradikale Kritik übersieht, dass die Grünen mehr erreicht haben, als die Schüler- und Straßenproteste wahrscheinlich je erreichen werden. Man muss es nicht alles aufzählen; Vieles daran mag kritikwürdig sein.

Dass Deutschland aber auf Klimaneutralität gepolt ist, haben weder Schüler noch Studenten noch Sekundenkleber erreicht, sondern die alten Hasen der Grünen. Die Methode, sich den Gepflogenheiten der parlamentarischen Republik anzupassen, hat sich für sie gelohnt. Und umgekehrt gilt genauso: Die Gepflogenheiten haben sich bewährt.

Eine Leistung im Namen der Kompromisse

Die Grünen nun mit Spott zu übergießen, weil diese Entwicklung den Weg aller Kompromissbereitschaft geht, nämlich mit Widersprüchen leben zu müssen, ist ein Stück weit Bigotterie. Gegen die Proteste in Lützerath den Kompromiss mit RWE verteidigt zu haben, ist eine Leistung, die vor allem den Grünen etwas abverlangt hat.

Ihnen wird deshalb Heuchelei vorgeworfen. Die größten Kritiker der Elche sind aber selber welche: Heuchelei auch hier. Die Konservativen von gestern sind darin nicht viel besser als die jungen Radikalen von heute.

Die Konservativen von gestern bringen es einfach nicht übers Herz, ihren Frieden mit den Grünen zu schließen, obgleich diese Grünen fast schon integrierter sind als sie selbst. Nur die FDP wagt es als etablierte Partei noch, den Grünen in der Klimapolitik eine glaubwürdige und klare Alternative entgegenzusetzen. Die Grünen belastet ihre Kompromissbereitschaft so sehr, dass sie demnächst in alte Muster zurückfallen dürften: Der Atomausstieg wird wieder zur kompromisslosen Glaubensfrage.

Welche Ziele haben die Radikalen?

Die Radikalen von heute halten den Grünen wiederum ihre Utopie vor, ohne je Verantwortung getragen oder sich gar nur die Frage gestellt zu haben: Welche Ziele haben wir eigentlich und wie wollen wir sie erreichen? Daran, nicht an mangelnder Sympathie in der Bevölkerung, werden sie voraussichtlich scheitern. Rücken die Ziele aber in den Vordergrund, werden, siehe den Werdegang der Grünen, auch die Institutionen und geordnete Bahnen attraktiv.

Für die „Letzte Generation“ steht stattdessen erst einmal die Kompromisslosigkeit ganz oben auf der Agenda. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal, hat einmal „Fridays for Future“ angefangen. Damals war noch nicht die Rede von „Klimaextremisten“ oder gar „Klimaterroristen“. Es ist eben ein Unterschied, die Schule zu schwänzen oder sich auf die Straße zu kleben und Straftaten zu begehen.

Die Stigmatisierung der Klimaaktivisten ist allerdings nicht minder radikal (um nicht zu sagen: extrem). Sie ist nicht gerade ein Ausweis für das Vertrauen in die Anziehungskraft der Institutionen, die vorgeblich verteidigt werden sollen. Immerhin berufen sich die „Extremisten“, wenn auch vielleicht irrigerweise, auf das Bundesverfassungsgericht und nicht auf die Weltrevolution.

Wenn sie damit den ersten Schritt in den Spuren der Grünen gemacht haben, sollten sie nicht zurückgestoßen werden. Auch dass sich die Klimaaktivisten nun auf ganz Deutschland ausdehnen wollen, ändert nichts daran. Sie werden dort noch mehr als auf den Kreuzungen der Großstädte gefragt werden, was sie denn eigentlich bezwecken und erreichen wollen.

Wenn sie die Frage ehrlich beantworten wollen, geht der Weg nicht in Richtung Räterepublik („Gesellschaftsräte“), wie es die „Letzte Generation“ jetzt vorgeschlagen hat. Ihr bleibt nach den Dörfern und Städten nur noch der Weg in die Parlamente der Republik. Da muss man dann mehr können als Gemälde beschmieren oder Hände ankleben. Die Grünen haben es vorgemacht.

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