Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verzeichnet so viele Kirchenaustritte wie niemals zuvor. Im Jahr 2022 erklärten rund 380.000 Mitglieder ihren Austritt, teilte die EKD am Dienstag mit. Das ist ein weiterer starker Anstieg, im Jahr 2021 lag die Zahl der Austritte noch bei 280.000, im Jahr 2005 waren es lediglich knapp 120.000. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus nannte die neuen Zahlen „bedrückend“. Nicht einmal in den Jahren nach der Wiedervereinigung verzeichnete die EKD so viele Austritte wie aktuell.
Reinhard Bingener
Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.
Zu den vielen Austritten kommt noch hinzu, dass weiterhin mehr als doppelt so viele Kirchenmitglieder sterben, als durch Taufe neu in die evangelische Kirche aufgenommen werden. Die Zahl der Sterbefälle lag 2022 bei rund 365.000, die Zahl der Taufen bei 165.000. Die Zahl der Taufen, die 2020 und 2021 stark eingebrochen war, stieg 2022 wieder um 37 Prozent an und lag damit wieder auf dem Niveau vor der Pandemie. Nach Auskunft des Statistikfachmanns Fabian Peters ist allerdings noch nicht geklärt, inwiefern es sich hier um einen Nachholeffekt handelt oder um eine Rückkehr zu den vormaligen Taufquoten.
Insgesamt sank die Zahl der EKD-Mitglieder im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent auf 19,15 Millionen. Diese Entwicklung wird die Kirche in den kommenden Jahren auch finanziell hart treffen. Die Freiburger Studie von 2019 ging noch davon aus, dass beide großen Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder und Einnahmen verlieren werden. Diese Prognose gilt unter Experten inzwischen als deutlich zu optimistisch.
Die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus sagt, ihrer Kirche stünden nun „besonders tiefgreifende Veränderungen“ bevor. Es gehe um die „Schaffung passgenauer Angebote für alle Generationen und Lebensphasen“. Die EKD will nun am 24. Juni erstmals einen bundesweiten Tauftag mit niedrigschwelligen Angeboten veranstalten. Zudem müsse der Wert einer formellen Kirchenmitgliedschaft deutlich gemacht werden, sagte Kurschus.
Als wichtiger Treiber der Kirchenaustritte haben Religionssoziologen auch die Debatte über sexualisierte Gewalt insbesondere in der katholischen Kirche und den damit verbundenen Vertrauensverlust ausgemacht. Dies führte dazu, dass die katholische Kirche in Deutschland zuletzt sogar noch mehr Austritte verzeichnete als die EKD.
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