Iran: Sittenpolizei soll Kopftuchpflicht durchsetzen

Vor einem Monat ging Narges zum ersten Mal mit kurzer Hose auf die Straße. Nur für 15 Minuten. Länger hielt sie es nicht aus. „Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass etwas passieren könnte“, sagt die Lehrerin aus der nordiranischen Stadt Rasht. Eine Woche lang hatte sie über die Aktion nachgedacht.

Friederike Böge

Politische Korrespondentin für die Türkei, Iran, Afghanistan und Pakistan mit Sitz in Ankara.

Dann lief sie los zum nächstgelegenen Café und wieder zurück. Zwischendurch machte sie ein Selfie. Sie postete das Foto auf Twitter. Schließlich bekam sie Angst und schaltete ihr Profil auf „privat“ um, damit nur ihre Freunde es sehen konnten.

Zivilen Ungehorsam gegen die Kleidervorschriften der Islamischen Republik gibt es in Iran schon lange. Doch seitdem die Kurdin Jina Mahsa Amini vor zehn Monaten in Teheran von der sogenannten Sittenpolizei aufgegriffen wurde und in Polizeigewahrsam zu Tode kam, haben sich die Grenzen verschoben. In den Großstädten sieht man sehr viele Frauen ganz ohne Kopftuch, vor allem in den Vierteln der Wohlhabenderen. Die Lehrerin Narges schätzt, dass das für rund ein Drittel der Frauen in ihrer Nachbarschaft gilt. In der Stadtmitte von Rasht seien etwa fünf bis zehn Prozent der Frauen unverschleiert.

Frauen, die „gegen Normen verstoßen“ sollen vor Gericht

Die iranische Regierung geht zwar mit verschiedenen Maßnahmen dagegen vor, doch die notorische Sittenpolizei hält sich seit Monaten zurück. Offenbar war das Teil der Strategie, die Proteste nach Aminis Tod unter Kontrolle zu bekommen. Am Sonntag jedoch hat die iranische Polizei eine Kehrtwende verkündet. Ein Sprecher sagte laut Staatsmedien, die Sittenpolizei werde ihre Arbeit wieder aufnehmen. Frauen, die „darauf bestehen, gegen Normen zu verstoßen“, würden zunächst verwarnt und dann vor Gericht gebracht. Damit reagiere die Polizei auf „Forderungen aus der Öffentlichkeit“ sowie des Präsidenten Ebrahim Raisi und anderer politischer Führer.

Befürworterinnen des Kopftuchtragens bei einer Kundgebung in Teheran am 12. Juli


Befürworterinnen des Kopftuchtragens bei einer Kundgebung in Teheran am 12. Juli
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Bild: AFP

In den vergangenen Monaten hatten sich die Einschüchterungsversuche des Staates jedoch angesichts der schieren Zahl an unverschleierten Frauen als unwirksam erwiesen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß die Sittenpolizei die Konfrontation mit der Bevölkerung suchen wird. Narges, die Lehrerin aus Rasht sagt, man müsse mit dem Schlimmsten rechnen, aber sie ziehe es vor, weiter auf Wandel zu hoffen. „Ich glaube, sie haben Angst vor den Kosten, dem internationalen Imageverlust. Sie wollen nicht noch mehr Druck aus dem Ausland.“

Bisher hat die Regierung versucht, unverschleierte Frauen aus dem gesellschaftlichen Leben fernzuhalten. Sie droht Geschäften, Taxibetreibern und Restaurants mit Schließung und Strafgebühren, wenn diese Kundinnen ohne Kopftuch bedienen. Sie beschlagnahmt wochenweise Fahrzeuge, deren Besitzerinnen unverschleiert Auto fahren. Sie hat mancherorts Kameras mit Gesichtserkennung installiert. In den vergangenen Tagen gab es einige symbolträchtige Strafen, an denen man ablesen konnte, dass eine neue Kampagne anläuft. Eine Frau wurde zum Leichenwaschen verurteilt, eine andere zu einer Zwangstherapie, eine dritte zu einer Gefängnisstrafe.

Ablegen des Kopftuchs als Sieg über die Angst

Politische Hardliner verlangen ein harsches Vorgehen. Sie sehen in der Unterwanderung der Kopftuchpflicht eine Gefahr für den Fortbestand der Islamischen Republik. Im Parlament wird derzeit ein neues „Gesetz zum Schutz der Keuschheits- und Kopftuchkultur“ verhandelt. Darin sind unter anderem Geldstrafen vorgesehen. Viele Hardliner lehnen es als zu moderat ab. Sie argu­mentieren, dass Wohlhabende sich von Geldstrafen nicht abschrecken ließen. Der Oberste Richter des Landes, Gholamhossein Mohseni-Esche’i, erklärte dazu, dass schon nach jetziger Rechtslage ein Verstoß gegen das Kopftuchgebot ein Verbrechen sei, was entsprechend bestraft werden könne.

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