In den Gesprächen zwischen Ampel und Union über eine Reform des Wahlrechts gibt es bislang keinen Fortschritt. Ein neuer Unionsvorschlag ist aus Sicht von SPD, Grünen und FDP nicht annehmbar, so dass der Gesetzesentwurf der drei Regierungsfraktionen wohl kommenden Freitag in die erste Lesung gehen wird. Am kommenden Dienstag soll er von der FPD- und Grünen-Bundestagsfraktion beschlossen werden, die SPD-Fraktion hatte schon am Dienstag mit großer Mehrheit zugestimmt. Der Ampel-Vorschlag sieht vor, dass die Größe des Bundestags auf 598 Abgeordnete festgelegt ist und Überhangmandate nicht vergeben werden.
Die Union hält diesen Vorschlag für verfassungswidrig, weil ein Wahlkreisgewinner nicht mehr automatisch ein Mandat erringt, und hatte stattdessen vorgeschlagen, die Anzahl der Wahlkreise von 299 auf 270 zu reduzieren, außerdem sollen 15 Überhangmandate nicht ausgeglichen werden und die Grundmandatsklausel von drei auf fünf Direktmandate angehoben werden. Diese sieht bislang vor, dass eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Klausel scheitert, dennoch entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis Abgeordnete in den Bundestag entsenden kann, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen hat.
Union will Ausgleichsmandate abschaffen
Am Donnerstag hatte es Treffen auf Ebene der Fraktionsvorsitzenden von Union und Ampel gegeben, später auf Ebene der Berichterstatter. Doch eine Annäherung findet nicht statt, dafür geben sich Union und Ampel gegenseitig die Schuld. „Nach den ersten Gesprächen habe ich nicht den Eindruck, dass auf Seiten der Ampel große Verhandlungsbereitschaft über unser Modell besteht“, sagte Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, der F.A.Z. und versicherte: „Gleichwohl werden wir weiter nach einer Lösung suchen, die von allen Parteien mitgetragen werden kann, so wie das in der Vergangenheit stets gute parlamentarische Übung war.“ Der Vorschlag der Union gebe den Grundsatz der personalisierten Verhältniswahl nicht auf und verkleinere zugleich den Umfang des Bundestages deutlich.
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte die große Koalition beschlossen, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu reduzieren. Diese Änderung greift bei der nächsten Bundestagswahl, es sei denn, der Bundestag beschließt vorher eine andere Reform. Monatelang hat eine Wahlkreiskommission unter Leitung des Bundeswahlleiters einen Vorschlag für einen Neuzuschnitt erarbeitet. Für den Wegfall von 19 Wahlkreisen müssten insgesamt 124 andere verändert werden. Das führt bereits zu einiger Unruhe unter den Abgeordneten. Nach Berechnungen der Ampel würde eine Einigung auf 270 Wahlkreise nur eine Ersparnis von rund zwanzig Mandaten einbringen.
Deutlich größer wären die Auswirkungen einer zweiten Änderung, die die Union vorschlägt: den Wegfall von Ausgleichsmandaten für bis zu 15 Überhangmandate. Bereits jetzt gilt, dass bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden. Bei der vergangenen Wahl waren 34 Überhangmandate angefallen (darunter zwölf für die CDU und elf für die CSU), die zu 104 Ausgleichsmandaten führten.
Grüne: „Krasse Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse“
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt, bis zu 15 Überhangmandate nicht auszugleichen. Die Folge ist, dass sich die Zusammensetzung des Bundestags nicht mehr am Zweitstimmenergebnis orientiert, der teilweise Wegfall der Ausgleichsmandate verschlechtert die Stellung von FDP, Grünen und Linken, die bei der vergangenen Wahl keine Überhangmandate erzielt haben.
Durch eine Erhöhung der Grundmandatsklausel auf fünf Direktmandate verringern sich die Chancen der Linken, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzutreten. Sie hatte 2021 nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen bekommen, aber drei Wahlkreise direkt gewonnen.
Die Ampelfraktionen sind sich einig in ihrer Ablehnung des Union-Vorschlags. Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, schrieb auf Twitter: „Der Vorschlag wirkt wie mit heißer Nadel gestrickt. Er führt im Ergebnis zu einer weiter fortbestehenden einseitigen Bevorteilung der CSU. Es wird immer klarer: Eine echte Wahlrechtsreform ist mit der Union nicht zu machen, solange sich die CDU in Geiselhaft der CSU befindet.“ Till Steffen, der Berichterstatter der Grünen, warf der Union vor, die Probleme auf Kosten der anderen Parteien zu lösen. Der Wegfall der Ausgleichsmandate führe „zu einer krassen Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse“, sagte Steffen der F.A.Z.
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Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion wertete es zwar als „gutes Zeichen“, dass die Union gesprächsbereit sei. Auch er monierte aber gegenüber der F.A.Z., dass neue Regeln für die Zusammensetzung des Bundestags nicht dazu führen dürfen, „dass eine Partei einseitig bevorzugt wird“.