Das Europäische Parlament kann sich nicht mit Westminster Hall messen. Trotzdem bekam Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag das volle protokollarische Programm geboten. Die Hausherrin Roberta Metsola begrüßte den ukrainischen Präsidenten, der mit Emmanuel Macron aus Paris nach Brüssel geflogen war. Danach wurden die Hymnen gespielt, die ukrainische und die Europahymne. Selenskyj legte die Hand auf die Brust, sang seine Hymne mit.
Thomas Gutschker
Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.
Es war ein ungewöhnlicher Anblick im Parlament. Selenskyj trug einen schwarzen Pullover zu olivgrüner Hose, und man konnte sich fragen, ob das im Kleiderrepertoire des Gastes einem Frack gleichkam. „United24“ stand auf seinem Sweatshirt – ein subtiler Hinweis auf die Beitrittsambitionen der Ukraine? Nein, so heißt eine Spendeninitiative der ukrainischen Regierung.
Als der Präsident eine halbe Stunde später ins Plenum trat, wurde er stehend begrüßt, mit Bravorufen und von etlichen Abgeordneten in den ukrainischen Landesfarben, Blau-Gelb. „Slawa Ukrajini“, rief Selenskyj, Ruhm der Ukraine – „Herojam Slawa“ schallte es zurück, Ruhm den Helden. Da applaudierte dann der Besucher. Es war der Gruß der ukrainischen Streitkräfte.
„Ein Weg, nach Hause zurückzukehren“
Die Rede, die Selenskyj dann hielt, war eine wohlkalkulierte Dankesrede – Dank dafür, dass man für die gleichen Werte kämpfe und Europa dies früh erkannt habe. Schon am sechsten Tag des Krieges habe sich das Europäische Parlament in einer Resolution dafür starkgemacht, dass die Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten bekommen habe, sagte er. Man musste schon den Text seines Auftritts im britischen Parlament danebenlegen, um eine feine Nuance zu erkennen. Dort hatte er sich für die Unterstützung „seit den ersten Sekunden und Minuten“ des russischen Überfalls bedankt.
Diesmal ging es um etwas anderes – nicht um Waffen, Kampfflugzeuge und Panzer, wie in London. Sondern um jenes andere wertvolle Gut, das es nur in Brüssel gibt: die Aufnahme in die Europäische Union. Selenskyj legte sein Plädoyer geschickt an, er forderte kein Datum für Beitrittsverhandlungen und verzichtete darauf, wie andere Mitglieder seiner Regierung einen Beitritt in zwei Jahren an die Wand zu malen. Stattdessen redete er über die kulturelle Zugehörigkeit seines Landes zu Europa. Der „europäische Lebensstil“ – offene Gesellschaften, Vielfalt, freie Wahlen – „für die Ukraine ist das ein Weg, um nach Hause zurückzukehren“.
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Bedroht werde dieser Weg jedoch durch Russland, das einen „totalen Krieg“ nicht nur gegen die Ukraine führe, sondern gegen diesen Lebensstil. Russland stehe für Gewalt und Gehorsam, sagte Selenskyj, es hasse die Vielfalt. „Unsere Antwort muss lauten: Nein, nein, Europa, wir kämpfen gegen diese autoritäre Kraft.“ Der Kandidatenstatus, die Vision, zur Europäischen Union voll dazuzugehören, „hat uns ermutigt, stark zu bleiben“. „Die Ukraine wird ein Mitglied der EU werden“, sagte er. Auch die EU werde gewinnen. Nur 16 Minuten dauerte die Ansprache. Dann rief Selenskyj wieder den militärischen Gruß seines Landes in den Saal. Wieder schallte die Antwort zurück.
Der Präsident reise, um Ergebnisse zu erzielen, hatte ein ukrainischer Vertreter am Vortag in Brüssel klargemacht. So wie kurz vor Weihnachten in Amerika, als Selenskyj sich mit einer Rede im Kongress viele Milliarden Dollar und das Patriot-Raketenabwehrsystem gesichert habe. Im Europäischen Parlament war davon nicht viel zu spüren, aber es dürfte in den anderen Gesprächen, die Selenskyj in Brüssel führte, eine Rolle gespielt haben. Vom Parlament aus fuhr er in den Europäischen Rat, ein paar Straßen weiter.
Unspektakuläre Ergebnisse beim Europäischen Rat
Die Choreographie dieses Tages sah vor, dass die Staats- und Regierungschefs schon berieten, während Selenskyj im Parlament sprach. Das verschaffte ihnen etwas Vorsprung, um rasch die Schlussfolgerungen zur Ukraine abzuhaken. Ob man sich so beeile, damit man nicht von Selenskyj unter Druck gesetzt werde, den Text noch zu ändern, wurde ein Diplomat gefragt. Seine Antwort: Auch in den Brexit-Verhandlungen habe man sich stets abgestimmt, bevor man mit der anderen Seite gesprochen habe. Das sei Ausdruck der Geschlossenheit und des Respekts der EU.