Man kann nordkoreanisches Fernsehen schauen, auch wenn man nicht dort ist. Es gibt einen Stream im Internet. „Dieser Service dient der Forschung und dem Selbststudium“, steht dort. Der Anbieter schreibt, er verbreite das, um auf die Risiken aufmerksam zu machen, die von Nordkorea ausgehen. Für mich ist der Stream noch etwas anderes: Ein Tunnel in die Parallelwelt, die sich die Diktatoren-Familie Kim für ihr Land ausgedacht hat. Über die schätzungsweise 25 Millionen Menschen, die in dieser Parallelwelt leben, wissen wir praktisch nichts. Sie können nicht einfach eine E-Mail schreiben, twittern oder ins Ausland telefonieren. Wir hier draußen sehen sie nur so, wie Diktator Kim Jong-un es will: im Gleichschritt bei Militärparaden, wahlweise ekstatisch jubelnd oder hysterisch weinend bei seinen Reden.
Bei Besuchen in Nordkorea bin ich diesen Menschen kaum nahegekommen. Ich habe sie in Pjöngjang von Weitem gesehen, wie sie sich morgens mit Taschenlampen auf den Weg zur Arbeit machen, weil es nicht überall Straßenlaternen gibt. Auf den Feldern ernten sie das Getreide mit Sicheln, weil es keine Maschinen gibt. Ganz normale Menschen, die ganz normale Dinge tun, aber das Pech hatten, in Nordkorea geboren zu sein. Dort werden sie 24 Stunden am Tag mit Propaganda berieselt. Sie kennen nichts anderes als diese künstliche Realität. Was ist das für ein Leben, im Tunnel?
Auffällig oft werden Kim im Fernsehen Lebensmittel gereicht, die er mit prüfendem Blick und offenbar hocherfreut begutachtet.
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Bild: KCTV
„Einen schönen guten Morgen! Es ist Sonntag, unser Fernsehprogramm startet jetzt“, sagt die Sprecherin im lilafarbenen Blazer. Sie verbeugt sich, ihre mit Haarspray zementierte Hochsteckfrisur bewegt sich keinen Millimeter. Über dem Herzen trägt sie einen roten Pin mit zwei Porträts: Kim Il-sung und Kim Jong-il, Diktatorengeneration eins und zwei, Opa und Papa des aktuellen Kims. Die Sprecherin sagt das Programm an. Alle Sendungen von morgens um 9 Uhr bis abends um 22.30 Uhr. Nachts wird nichts gesendet, nur ein Testbild. Nicht, dass die Nordkoreaner große Auswahl hätten. In Pjöngjang soll es vier Sender geben, verlässlich im ganzen Land sendet aber nur Korean Central Television, wie sich das Staatsfernsehen auf Englisch nennt.
Ein Leckerli für die Bestien
Nach der Programmvorschau werden ein paar Landschaftsaufnahmen eingespielt, unterlegt mit Marschmusik, dann geht es los. Eine Dokumentation. „Tiere aus aller Herren Länder“. Gespannt warte ich auf eine Art nordkoreanischen David Attenborough, der sich flüsternd an einen Löwen heranpirscht. Doch die Tiere aus aller Herren Länder stecken hinter Gittern, im Zoo von Pjöngjang. Das ist natürlich praktisch, wo doch ohnehin kein normalsterblicher Nordkoreaner ins Ausland reisen darf. Warum Begehrlichkeiten wecken? Kim, so erfahre ich, bekommt von seinen vielen Bewunderern viele Tiere geschenkt. Und der Marschall, wie sie ihn hier nennen, ist so großzügig, sie mit den staunenden Zoobesuchern zu teilen. So wie die beiden „Kaukasischen Owtscharka“. Ein russischer Politiker aus der Provinz Amur dachte wohl, die Hunde seien genau das Richtige für den Diktator, und schenkte sie ihm 2017. Wikipedia beschreibt die Rasse als „robust“, die Beine sind etwa so dick wie ein menschlicher Unterschenkel. Eine sichere Einzäunung sei „Grundvoraussetzung“, weil die Rasse das Bewachen ihres Grundstücks „sehr ernst nimmt“. Während ich darüber nachdenke, was man mit einem solchen Geschenk wohl ausdrücken möchte, schaut auf dem Bildschirm ein Mädchen auf ihrem pinken Dreirad mit zusammengekniffenen Augenbrauen in den Käfig. Ihre Großmutter wirft ein Leckerli durch das Gitter und winkt den Bestien zu.