Wenn es darum geht, ob man die AfD verbieten sollte, ist zuletzt oft von einem Dilemma die Rede gewesen. Dafür verantwortlich: das Bundesverfassungsgericht.
Dessen Richter entschieden sich vor sechs Jahren dagegen, die NPD zu verbieten, obwohl an deren Verfassungsfeindlichkeit kein Zweifel bestand. Neben diesem Kriterium forderte das Gericht erstmals, dass eine Partei das Potential zum Umsturz haben müsse. Das Parteiverbot sei schließlich kein Gesinnungsverbot. Von der NPD gehe eine solche Gefahr nicht aus, befanden die Richter. Sie sei zu unbedeutend.
Gleiches kann man von der AfD nicht behaupten. In Thüringen, wo im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, kann sie nach den jüngsten Umfragen derzeit mit einem Stimmenanteil von 30 Prozent rechnen. Ein AfD-Verbot gilt allerdings gerade angesichts dieses Zulaufs als enorm heikel. Wer will schon einen derart großen Anteil der Wahlbürger aus dem demokratischen Prozess ausschließen, weiter gegen den Staat aufbringen, womöglich in den Untergrund treiben? Ein Gesinnungswandel lässt sich auch nicht verordnen.
Zurückhaltung bei den Parteien
Politiker der Berliner Ampelkoalition reagieren auf Fragen nach einem Parteiverbot denn auch zurückhaltend. Gleiches gilt für die Union, wenn man von dem ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz absieht. Noch steht der CDU-Politiker mit seiner Forderung nach einem Verbot der AfD ziemlich allein da.
Zuletzt hieß es oft, die Karlsruher Rechtsprechung habe zur Folge, dass Parteien für ein Verbot entweder zu klein oder zu groß seien. Über den Umgang mit großen extremistischen Parteien hat das Verfassungsgericht im NPD-Urteil aber nicht entschieden. Es ist eine Debatte, die zunächst die Politik führen muss.
Die Diskussion kann sich auch nicht in dem routinierten Verweis auf die deliberative Demokratie erschöpfen, die die Menschen schon wieder einfange. Offenbar tut sie das mancherorts nicht. Wenn die AfD dort gleichzeitig alle Voraussetzungen erfüllt, die das Verfassungsgericht für ein Parteiverbot aufgestellt hat, muss man sich damit auseinandersetzen. Was daraus folgt, ist damit nicht gesagt.
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Ein Verbot der Bundespartei dürfte nicht nur aus politischen Erwägungen abwegig sein, sondern schon an rechtlichen Voraussetzungen scheitern. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass rechtsextremistische Ansichten in der AfD weit verbreitet sind. Bislang führt der Verfassungsschutz die Bundespartei aber nur als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Eigenen Angaben zufolge hatte die AfD im vergangenen Jahr 28.500 Mitglieder. Das extremistische Potential schätzte der Verfassungsschutz da auf 10.200 Personen. Inhaltlich sei die Partei weiterhin heterogen, heißt es in seinem jüngsten Jahresbericht. Nicht alle Mitglieder könnten als Anhänger der extremistischen Strömungen betrachtet werden.
In manchen Ländern sieht es anders aus. In Thüringen führt der Verfassungsschutz den Landesverband um Björn Höcke seit März 2021 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht heißt es, die Protagonisten verträten einen „ethnisch-kulturellen“ Volksbegriff. Dieser gehe von „einer biologisch begründeten und damit irreversiblen Ungleichheitsannahme zwischen einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen“ aus und werte Einwanderer ab. Mit der Menschenwürde ist das nicht vereinbar.
Schutz der demokratischen Institutionen
Im Karlsruher NPD-Verfahren war sie zentral. Die Richter stellten klar: „Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht.“ Was tun, wenn dieses Fundament unserer Grundordnung missachtet wird?
Angesichts der Unterschiede zwischen den Landesverbänden spricht viel dafür, die Schutzmechanismen der Demokratie föderal zu durchdenken – gleichlaufend zur Arbeit des Verfassungsschutzes. Es gibt inzwischen ernst zu nehmende Stimmen wie den Bonner Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz, der sogar ein Verbot einzelner AfD-Landesverbände ins Spiel bringt. Ihm zufolge müsste nicht einmal das Grundgesetz geändert werden, eine Reform des Parteiengesetzes würde reichen.
Die polarisierenden Auswirkungen schon eines Verbotsantrages wären nicht zu unterschätzen. Und Haltungen lassen sich nicht verbieten. Darum geht es aber auch nicht. Es geht um den Schutz der demokratischen Institutionen vor erwiesenen Verfassungsfeinden. Wenn diese dort eines Tages die Mehrheit haben, können sie damit beginnen, den Rechtsstaat zu schleifen. Außerdem geht es um die Menschen, für die die AfD schon jetzt eine reale Bedrohung ist. Den Staat trifft hier eine Schutzpflicht, die er ernst nehmen muss.