Debatte im Bundestag über Wahlrechtsreform

Als der Bundestag in erster Lesung über die Wahlrechtsreform debattiert, sind grob geschätzt, rund hundert Abgeordnete anwesend. Das ist ein Siebtel der 736 Parlamentarier, die hinteren neun Stuhlreihen im Plenum waren leer. Seit rund zehn Jahren gibt es einen breiten Konsens darüber, dass ein immer weiteres Anwachsen des Bundestags verhindert werden muss.

Was der richtige Weg sein könnte, da gehen die Meinungen auseinander. Es ist gute Tradition, dass das Wahlrecht aus der Mitte des Bundestags kommt, aber die Debatte am Freitag ließ wenig Raum für die Hoffnung, dass Ampel und Union hier noch zusammenkommen.

Nach dem Gesetzentwurf der Ampel soll der Bundestag künftig eine feste Größe von 598 Abgeordneten haben, Überhangmandate soll es nicht mehr geben. Ein Wahlkreissieger ist nur dann gewählt, wenn das Mandat der Partei auch nach dem Ergebnis der Zweitstimme, die künftig Hauptstimme heißen soll, zusteht.

Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt als ihr nach dem Hauptstimmenergebnis zustehen, sollen die relativ gesehen schwächsten Wahlkreissieger nicht in den Bundestag einziehen. In den Fraktionssitzungen haben SPD und FDP den Gesetzentwurf mit großer Mehrheit beschlossen, die Grünen sogar einstimmig.

Sebastian Hartmann, der Obmann der SPD in der Wahlrechtskommission, sprach von einem „großen Wurf“. Till Steffen von den Grünen nannte den Vorschlag „einfach und fair“. Man habe darauf geachtet, dass die Wettbewerbschancen der Parteien gleich seien, sagte er und verwies darauf, dass nach geltendem Recht Überhangmandate der CDU in Baden-Württemberg etwa dazu führen, dass aus anderen Länder weniger CDU-Abgeordnete in den Bundestag einziehen. Deshalb gibt es aus den Reihen der CDU durchaus Zustimmung für den Ampel-Vorschlag. Die war in der Debatte aber nicht abgebildet.

Stattdessen empörte sich Ansgar Heveling, Obmann der CDU in der Wahlrechtskommission, dass die Reform „fundamentalen Fairnessempfindungen“ widerspreche. Aus Sicht von Bürgern sei nicht einsehbar, dass ein Kandidat einen Wahlkreis gewinne und trotzdem nicht in den Bundestag einziehe. Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, verwies darauf, dass es diverse Erwartungen der Wählerschaft gebe, die man „denklogisch“ nicht alle erfüllen könne. Mit der derzeitigen Rechtslage werde die Erwartung enttäuscht, dass die Größe des Bundestags vorhersehbar sei, wie in den meisten anderen Ländern.

„Organisierte Wahlfälschung“?

Zum Vorwurf aus den Reihen der CSU, dass Wahlkreise keine Rolle mehr spielten und dem Proporzgedanken der „Berliner Blase“ geopfert würden (Michael Frieser), verwies Kuhle darauf, dass es in Deutschland durchaus üblich sei, dass eine Wahl an mehr als eine Voraussetzung geknüpft sei. „Niemand käme auf die Idee, Bundesländer als Schurkenstaaten zu bezeichnen, in denen Bürgermeister nicht mit relativer Mehrheit gewählt werden, sondern mit absoluter“, sagte er.

Der CSU-Generalsekretär Martin Huber hatte den Vorschlag der Ampel als „organisierte Wahlfälschung“ bezeichnet, ähnliches kenne man nur aus „Schurkenstaaten“. Kuhle erinnerte daran, dass die Nachrücker von direkt gewählten Abgeordneten, die aus dem Bundestag ausscheiden, nicht per Nachwahl im Wahlkreis bestimmt werden, sondern über die Liste.

Der Sieger in Kuhles Göttinger Wahlkreis, Andreas Philippi von der SPD, sei nun Sozialminister in Hannover, der Nachrücker über die SPD-Liste komme aus Celle. „Wissen Sie, wo Celle ist? 150 Kilometer von Göttingen entfernt. Fast so weit wie von München nach Nürnberg“, rief Kuhle, Gelächter in den Reihen der Ampel.

„Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse“?

Die Unionsfraktion hat keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, aber vergangene Woche vorgeschlagen, die 299 Wahlkreise auf 270 zu reduzieren und bis zu 15 Überhangmandate nicht auszugleichen. Steffen von den Grünen kritisierte, dass der fehlende Ausgleich der Überhangmandate zu einer „drastischen Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse“ führe. Wie in den Vereinigten Staaten könne sich die Mehrheit der Wähler als Minderheit im Parlament wiederfinden. „Da wenden sich die Menschen ab“, so Steffen.

Linksfraktion und AfD wollen für den Gesetzentwurf der Ampel stimmen. Die AfD reklamiert die Idee für sich, habe ähnliches bereits im Jahr 2020 vorgeschlagen, sagte der Abgeordnete Albrecht Glaser. „Wir freuen uns, dass die AfD zum ersten Mal in der Geschichte eine Mehrheit in einer wichtigen Frage bekommt.“

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