Am Anfang stand ein Satz, wie man ihn nur selten vom chinesischen Außenministerium zu hören bekommt: „China bedauert, dass das Luftschiff versehentlich durch höhere Gewalt in die Vereinigten Staaten abgedriftet ist.“ Das war vor zwei Wochen Pekings erster Versuch, sich gesichtswahrend aus der Ballon-Affäre zu ziehen. Das geäußerte Bedauern war als Appell an Washington gedacht, die für China peinliche Angelegenheit möglichst geräuschlos beizulegen. Es beruhte wohl auf einer Fehleinschätzung.
Friederike Böge
Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.
Eine gute Stunde später gab die amerikanische Regierung bekannt, dass Außenminister Antony Blinken seine geplante Reise nach Peking nicht antreten werde. Einen Tag später schoss das amerikanische Militär den Ballon ab. Den Befehl dazu hatte der amerikanische Präsident nach eigener Aussage schon Tage vorher gegeben.
Aktuelle Äußerungen amerikanischer Regierungsmitarbeiter über die ersten Tage der Krise zeichnen das Bild eines schwerfälligen chinesischen Apparats, in dem die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Laut einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der „New York Times“ brauchte China drei Tage, um substanziell auf die Krise zu reagieren. Erst dann habe es der amerikanischen Seite erklärt, dass Verantwortliche sich bemühten, den Ballon so schnell wie möglich aus dem amerikanischen Luftraum zu lenken.
Es spricht einiges dafür, dass Chinas außenpolitischer Apparat erst durch die amerikanische Seite von dem mutmaßlichen Spionageflug erfuhr. Mitarbeiter des State Department berichten, die zur Rede gestellte Chargé d’affaires der chinesischen Botschaft habe überrascht gewirkt. Danach brauchte China 36 Stunden, um eine Sprachregelung zu der Affäre zu finden. Sie stand erst einige Stunden, nachdem eine Sprecherin des Außenministeriums sich erstmals dazu äußern musste.
Von Xi Jinping höchstpersönlich abgesegnet
Längst hat sich die Ballon-Affäre zu einer diplomatischen Krise ausgewachsen, in der beide Seiten bemüht sind, den Eindruck von Schwäche zu vermeiden. China hat den Ton stetig verschärft und mit militärischen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen gedroht.
Als Antwort auf die Exportverbote, die Amerika gegen sechs mutmaßlich beteiligte chinesische Unternehmen erlassen hat, setzte China am Donnerstag die Rüstungsunternehmen Lockheed Martin und der Raytheon auf seine Sanktionsliste. Allerdings hat Peking sie schon in der Vergangenheit sanktioniert.
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Zu Pekings üblichen Ablenkungsmanövern gehört es, amerikanische Anschuldigungen spiegelbildlich mit unbelegten Gegenvorwürfen zu kontern. So wie am Mittwoch: „Seit Mai vergangenen Jahres haben die Vereinigten Staaten eine große Zahl an stratosphärischen Ballons von ihrem Staatsgebiet losgeschickt, die kontinuierlich die Erde umkreist haben und illegal über chinesischen Luftraum geflogen sind, unter anderem über Xinjiang und Tibet, mehr als zehn Mal“, so ein Sprecher des Außenministeriums. In die gleiche Kategorie der Spiegelfechterei gehört vermutlich auch die Mitteilung, dass der Flugverkehr in der Stadt Shijiazhuang am Donnerstag wegen eines Ballons vorübergehend ausgesetzt worden sei.
International mag China mit derlei Manövern seine Glaubwürdigkeit untergraben, auch wenn es sie über westliche soziale Medien weltweit verbreitet. Im eigenen Land erfüllen sie aber den gewünschten Zweck. Sie bedienen das fest etablierte Narrativ von amerikanischen Geheimdienstaktivitäten, insbesondere in Chinas Grenzregionen Tibet, Xinjiang und Hongkong. Es fußt auf belegten historischen Beispielen wie der Ausbildung tibetischer Guerilla-Kämpfer durch die CIA in den Sechzigerjahren.