Boris Palmer steht schon wieder vor einem Scherbenhaufen

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich am Montag dafür gerechtfertigt, dass er sich in einem Wortgefecht mit Demonstranten am Freitag in Frankfurt mit in der NS-Zeit verfolgten Ju­den verglichen hatte. „Durch die Be­griffe ,Rassist‘ und ,Nazi‘ mit den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte in Verbindung ge­bracht zu werden ist für mich schlicht unerträglich. Das habe ich auszudrücken versucht“, schrieb Palmer dem Präsidenten der Goethe-Universität, Enrico Schleiff. Er hatte von Palmer eine Entschuldigung verlangt.

Timo Steppat

Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland mit Sitz in Wiesbaden.

Zuvor war Palmer für seine Äußerungen am Rande einer Konferenz an der Frankfurter Goethe-Universität scharf kritisiert worden. Auch enge politische Vertraute Palmers distanzierten sich von ihm. Der Politiker, dessen Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende des Jahres ruht, hatte sich in eine Auseinandersetzung mit Demons­tranten vor dem Universitätsgebäude begeben. Palmer wurde, offenbar Bezug nehmend auf dessen Äußerungen über den schwarzen Fußballspieler Dennis Aogo im Jahr 2021, Rassismus vorgeworfen, woraufhin er die Nutzung des Wortes „Neger“ verteidigte. Als ein schwarzer Demonstrant ihn fragte, ob er das Wort auch zu ihm sagen würde, tat Palmer das.

Poseck: „Indiskutabel“

Nach „Nazis raus“-Rufen sagte Palmer, wenn die Verwendung dieses Wortes genüge, um als Rassist bezeichnet zu werden, sei das „nichts anderes als der Judenstern“. Ein Videomitschnitt, der im Internet veröffentlicht wurde, zeigt die Aus­ein­ander­set­zung. Bei der Konferenz „Migration steuern, Pluralität fördern“, auf der Palmer eine Rede halten sollte, forderte er, den Kontext der Nutzung des Wortes, einer stark abwertenden Bezeichnung für Schwarze, zu berücksichtigen; auf seinen Vergleich zum Judenstern ging er nicht ein.

Der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) nannte die Äußerungen „indiskutabel“. „Derartige Provokationen leisten Spaltung, Ausgrenzung und Rassismus Vorschub.“ Poseck hatte selbst ein Grußwort auf der Veranstaltung gesprochen. Die Veranstalterin der Konferenz, die Ethnologin Susanne Schröter, distanzierte sich ebenfalls. „Sein Verhalten hat die sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt und ist nicht akzeptabel“, schrieb sie auf Twitter. Der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, forderte von Palmer eine persönliche Entschuldigung gegenüber der Hochschule, der jüdischen Gemeinschaft und den „von seiner Beleidigung betroffenen Personen“. Den Holocaust relativierende Aussagen seien vollkommen inakzeptabel und würden an und von der Goethe-Universität nicht toleriert.

Durch den abermaligen Eklat verliert Palmer innerhalb seiner Partei die letzten verbliebenen Unterstützer: Der frühere Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Anwalt Rezzo Schlauch kündigte Palmer seine „persönliche und politische Loyalität“ auf. Er will den Kommunalpolitiker künftig auch nicht mehr anwaltlich vertreten. „Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen.“ Da gebe es nichts mehr zu „erklären und zu verteidigen“, teilte Schlauch in einer Erklärung mit.

Auch „Vert Realos“ distanzieren sich

Auch die noch im Aufbau befindliche neue innerparteiliche Gruppierung „Vert Realos“ distanzierte sich von Palmer. Ulrich Martin Drescher, Koordinator der Gruppierung, sagte: „Boris Palmer hat mit einem unsäglichen Vergleich in Frankfurt ein Tabu gebrochen.“ Seine erfolgreiche Kommunalpolitik könne nicht aufwiegen, dass er den Bemühungen um eine steuernde und ganzheitliche Migrationspolitik geschadet habe. Die Vert Realos würden ihre Ziele nun ohne Palmer weiterverfolgen. Derzeit sucht die neue Gruppierung nach Unterstützern im Bundestag und den Landtagen.

Ministerpräsident Winfried Kretsch­mann (Grüne) äußerte sich am Maifeiertag nicht zu dem Vorfall. Nach Palmers zweiter Wiederwahl zum Tübinger Oberbürgermeister im Oktober vergangenen Jahres (52,4 Prozent im ersten Wahlgang) hatte Kretschmann die Hoffnung geäußert, Palmer könne schon vor Endes des Jahres wieder vollwertiges Parteimitglied werden.

In Regierungskreisen ist man irritiert über diesen „sinnfreien Tabubruch“. Nach der Satzung des grünen Landesverbands können der Kreisvorstand oder die Mitgliederversammlung, die für das jeweilige Mitglied zuständig sind, Parteiordnungsverfahren beantragen. Der frühere Bundestagsabgeordnete Volker Beck beantragte nach Paragraph 24 der Bundessatzung ein abermaliges Parteiordnungsverfahren. Das teilte er auf Twitter mit. Auch wenn die Parteimitgliedschaft ruhe, sei das Mitglied weiterhin der Parteischiedsgerichtsbarkeit unterworfen.

Erst Anfang April hatte sich der Tübinger Gemeinderat von Palmer distanziert, nachdem der Oberbürgermeister für den Mord an dem gambischen Flüchtling Basiru Jallow in Tübingen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verantwortlich gemacht hatte. Palmer hatte den Getöteten trotz laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen als Drogendealer bezeichnet und auch über ein mutmaßliches Vergewaltigungsdelikt spekuliert.

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