Wenn Professoren alle Gewalt in ihrer Hand haben

Es geschah bei einer Tagung. Eine verheiratete Wissenschaftlerin, 42 Jahre alt, übernachtete im selben Hotel wie ihr Vorgesetzter. Ein wichtiger Mann, Dekan an einer Exzellenzuniversität, fast fünfzehn Jahre älter als sie. Als die beiden abends auf dem Weg zu ihren Zimmern waren, zog der Professor seine verdutzte Kollegin an den Handgelenken zu sich und küsste sie auf den Mund. „Ich habe das Gleichgewicht verloren und konnte mich nicht wehren“, erzählt die Frau, die ihren Namen wie alle anderen Betroffenen in diesem Text nicht verraten möchte. Schlafen konnte sie nach dem Vorfall nicht. „Ich hatte Angst, dass er irgendwann vor meiner Tür steht – und davor, was passieren würde, wenn ich ihn zurückweise.“

Es ist so weit: Die MeToo-Debatte hat die Wissenschaft erreicht. Die Aufklärung von Fällen wie dem oben beschriebenen gestaltet sich ziemlich zäh – genau das ist systemimmanent. Natürlich handelt es sich keineswegs um bedauerliche Einzelfälle. Viele Betroffene berichten von einer längeren Leidenszeit, nicht von einmaligen Ausrutschern. Der aufgezwungene Kuss etwa war für die Wissenschaftlerin bloß ein Übergriff von vielen. „Es gab Anspielungen, obszöne Gesten. Er fragte mich, ob ich mit Kollegen sexuelle Beziehungen hätte, und als ich verneinte, sagte er, es würde Zeit, dass ich mir eine Affäre zulege, er würde dafür zur Verfügung stehen.“

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