Manchmal dient Eigennutz am Ende doch dem großen Ganzen. Einen eindrucksvollen Beleg dafür hat David Schatz gefunden, und deshalb ist der Immunologe am Dienstag in der Paulskirche mit dem Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis ausgezeichnet worden. Die 120.000 Euro Preisgeld teilt sich der Amerikaner mit seinem Landsmann Frederick Alt. Beide haben entscheidend dazu beigetragen, Entstehung und Funktion des adaptiven Immunsystems von Wirbeltieren aufzuklären. Dessen Geschichte beginnt vor ungefähr 450 Millionen Jahren – mit einem egoistischen Gen.
Dieses Stückchen DNA hatte die Fähigkeit, innerhalb der Erbsubstanz hin- und herzuspringen. Ein derartiges Gebilde nennen die Genetiker Transposon. Irgendwann integrierte sich ein solches Gen in einen Chromosomen-Abschnitt, der viel später einmal die Information für die Bildung von Antikörpern enthalten sollte. Antikörper werden von Wirbeltieren in einer Vielzahl von Versionen vorgehalten. So können sie als Waffen gegen unterschiedlichste Krankheitserreger dienen – Viren, Bakterien, Krebszellen. Wird das Immunsystem mit solchen Feinden konfrontiert, vermehrt es jene Antikörper, die zu den Merkmalen des Gegners passen.
Zehn Milliarden Antikörper aus 20.000 Genen
Wie aber kann die Abwehr zehn Milliarden verschiedene Antikörper produzieren, wenn sie nur rund 20.000 Gene für diese Protein-Waffen besitzt? Diese Frage haben die Preisträger Alt und Schatz beantwortet. Schatz, heute Professor an der Yale University, entdeckte das Enzym RAG1/2. Es zerschneidet die DNA, auf der die Antikörper-Gene liegen, und ermöglicht so, dass die Baupläne neu zusammengesetzt werden. So entstehen in einer Art Lotterieverfahren immer wieder unterschiedliche Kombinationen – von denen diese oder jene vielleicht zum nächsten Herausforderer des Immunsystems passt.
Schatz hat auch die Geschichte des Gens aufgeklärt, von dem RAG1/2 gebildet wird. Es stammt offenbar von einem Transposon ab, also einem jener DNA-Schnipsel, die im Erbgut herumspringen. Den Wirbeltieren ist es gelungen, den egoistischen Parasiten für sich nutzbar zu machen. Das in diesem gezähmten Gen codierte Protein bildet nun den einen Teil der molekularen Maschine, die für die Neukombination der Antikörpergene verantwortlich ist. Den anderen Teil, der die von RAG1/2 zerschnittenen DNA-Stränge wieder zusammenfügt, hat Frederick Alt entdeckt, der an der Harvard Medical School lehrt. Er erkannte, wie die Enzyme die DNA-Fäden in den Chromosomen abtasten und zu Schlaufen zusammenlegen, sodass ein Austausch von Sequenzen auch zwischen weit entfernten Antikörper-Genen möglich wird.
Hilfreiche Erb-Analyse für Blutstammzellen
Warum es nötig ist, nicht nur die Funktion des Immunsystems zu verstehen, sondern auch dessen Historie, verdeutlichte Schatz im Pressegespräch vor der Preisverleihung mit einer Analogie: Ohne die Geschichtswissenschaft wäre es nicht möglich, das aktuelle Weltgeschehen und den Zustand der Gesellschaft zu erklären.
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Ein Historiker im übertragenen Sinn ist auch Leif Ludwig, der ebenfalls am Dienstag geehrte diesjährige Träger des Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreises. Die 60.000 Euro Preisgeld hat sich der Berliner Arzt und Biochemiker mit einem Verfahren verdient, das es ermöglicht, die Abstammung von Blutstammzellen zu analysieren. Dazu benutzt er nicht die DNA aus dem Zellkern, sondern jene der Mitochondrien – Zellorganellen, in denen der Treibstoff für biochemische Reaktionen hergestellt wird.
Genaue Informationen über die Entwicklung von Blutstammzellen helfen zu verstehen, wann und warum sie entarten. So kann zum Beispiel die Behandlung von Leukämiepatienten verbessert werden. Die Erkenntnisse von Schatz und Alt helfen ebenfalls bei der Bekämpfung von Blutkrebs, aber auch beim Verständnis schwerer Immundefekte: Sie können durch Mutationen in den RAG-Genen verursacht werden. Jenen gezähmten Egoisten, ohne die das Kollektiv, der Organismus, vom Tod bedroht ist.