Neue Energie für Partikeltherapie

Kaum ist er an seinem neuen Arbeitsplatz am Partikeltherapiezentrum in Marburg angekommen, sieht sich Sebastian Adeberg einer kitzligen Gemengelage gegenüber. Einerseits herrscht Aufbruchstimmung in der Belegschaft dieser besonderen Einrichtung zur Behandlung von Tumoren. Denn der Ende Fe­bruar geschlossene neue Zukunftsvertrag für das Uni-Klinikum Gießen und Marburg dient auch ihrer Arbeit. Andererseits stehen Adeberg und sie ge­meinsam mit der Chefetage des drittgrößten deutschen Klinikums vor zwei Hürden. So ist ein neuer Servicevertrag mit dem Medizintechnik-Hersteller Siemens Healthineers nötig, der das Herzstück der Anlage gebaut hat, den 90 mal 50 Meter messenden Teilchenbeschleuniger. Noch wichtiger ist derzeit aber eine Übereinkunft mit den Krankenkassen über die weitere Finanzierung. Von nächster Woche an werden beide Seiten darüber reden.

Thorsten Winter

Korrespondent der Rhein-Main-Zeitung für Mittelhessen und die Wetterau.

Diese Gespräche stehen im Zeichen des wirtschaftlichen Drucks, unter dem die Krankenkassen stehen. Sie erwarten für das laufende Jahr ein Minus von etwa 17 Milliarden Euro, bei steigender Tendenz. Die noch geltenden Verträge für das Partikeltherapiezentrum laufen bis zum 30. Juni, wie der Vorsitzende der Geschäftsführung des Uni-Klinikums, Gunther Weiß, sagt. Das Team der Geschäftsführung wisse um die Sorgen der Kostenträger. Gleichwohl sagt Weiß auch: „Wir gehen davon aus, die Krankenkassen überzeugen zu können, die Finanzierung fortzuführen.“

Höhere Wirksamkeit dank Schwerionen

Aus Sicht des Uni-Klinikums spricht eine ganze Reihe von Gründen dafür. Das Partikeltherapiezentrum ist eine von nur zwei Einrichtungen dieser Art in Deutschland – die andere steht in Heidelberg. Von dort ist der Krebs- und Strahlenmediziner Adeberg an die Lahn gewechselt. Beide Standorte tauschen sich aus. Nach einem sehr hol­pri­gen Start der Anlage in Jahr 2015 betreuten die Heidelberger die Anlage einige Zeit federführend. Mittlerweile ist es eine Tochter der Rhön-Klinikum AG, der seit 2006 wiederum 95 Prozent am kurz UKGM genannten Uni-Klinikum gehören. Die Partikeltherapie war seinerzeit von der Regierung unter Roland Koch (CDU) als „Leuchtturm-Projekt“ auf den Weg gebracht worden.

Ihre im doppelten Sinne besondere Strahlkraft verdankt die Anlage ihrer Technik. Sie kann Tumore sowohl mit Wasserstoffionen als auch mit Schwerionen bekämpfen. Für die zweite Variante verschießt der Teilchenbeschleuniger Kohlenstoffionen. Diese Art der Strahlentherapie zeichne sich im Vergleich zu der anderen Variante durch die deutlich höhere biologische Wirksamkeit aus. Dies wiederum sei der viel dichteren Energieabgabe an das durchstrahlte Gewebe zu verdanken, heißt es in Marburg.

Strahlen treffen Tumor rundum Punkt für Punkt

Sylvia Heinis, kaufmännische Geschäftsführerin am UKGM in Marburg und Ärztin, schwärmt von der Präzision der Schwerionen-Gabe. Demnach schädigen die Strahlen auf dem Weg zum Ziel kaum das umliegende Gewebe und fächern sich dann im Tumor auf. Das Geschwür wird zuvor in 3 D gerastert. Weiß wählt als Vergleich das Bild einer Mandarine, die von Strahlen rundum Punkt für Punkt getroffen werde – und nicht nur von einer Seite.

Mit dieser Art der Therapie könne die Anlage auch Patienten gut behandeln, für die es sonst kaum oder keine Hilfe gebe, darunter auch Kinder. Zu den Erkrankungen gehören demnach bösartige Tumore an der Wirbelsäule, an der Schädelbasis und im Hals sowie etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs. Unter anderen der frühere hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat von der Partikeltherapie in Marburg profitiert. Zuletzt sind dort nach Angaben eines Kliniksprechers binnen Jahresfrist 350 Krebskranke in vier der Therapieräume behandelt worden.

Ein Defizit wird in Kauf genommen

Ein Profit Center stellt die Partikeltherapie dabei nicht dar. Vielmehr ist seit Anbeginn das Gegenteil der Fall: „Wir verdienen mit der Anlage kein Geld“, hebt Weiß hervor. Er beziffert das im Jahresverlauf anfallende Minus auf einen kleinen Millionenbetrag. Das Klinikum schultere dieses Defizit im Wissen um den Nutzen der Partikeltherapie. Deren Wert ist auch in der Landesregierung bekannt: Der bis 2033 laufende Zukunftsvertrag für das Uni-Klinikum erlaubt es, 750.000 Euro jährlich für die Anlage aufzuwenden.

Neue Software und Geräte notwendig

Das Geld wird an der Lahn auch gebraucht. Adeberg sagte zwar: „Das Partikeltherapiezentrum befindet sich in einem Zustand, in dem es gut funktioniert.“ Er verhehlt aber nicht die Notwendigkeit von Investitionen in bildgebende Geräte und die für den Betrieb unerlässliche Software. Bisher brauche der Computer zwei bis drei Tage für einen Behandlungsplan. Mit neuer Software soll das künftig deutlich schneller gehen. Nach den gewünschten Investitionen wird die Anlage auf einem Niveau sein, um Top-Medizin für die nächsten Jahre zu leisten, wie Adeberg weiter sagt. Technik regelmäßig zu erneuern sei im Übrigen völlig normal.

Die Kassen wünschen sich aber eine bessere Datenlage. Mit zwei Zentren in Deutschland sei das jedoch schwer zu gewährleisten: „Da brauchen wir alle eine langen Atem“, sagt der 38 Jahre alte Adeberg. Dass die Partikeltherapie Zukunft hat, ist für ihn keine Frage. In Asien werde sie ausgebaut. Australien plane vier solcher Anlagen. Er gehört dort einem Komitee an, das sich damit befasst, und plant eine Zusammenarbeit mit den australischen Kollegen. Weiß gibt sich angesichts dessen vor den Gesprächen mit den Kassen „energisch optimistisch“.

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