Kolumne „Uni live“: Abschied von unseren Körperspendern

Ich gestehe: Ich konnte es kaum erwarten. Im ersten Semester hatte ich mich kaum als Medizinstudent fühlen können, da sich unser Stundenplan ausnahm wie der eines naturwissenschaftlichen Oberstufenprofils. Neben den Kursen der Biologie, Physik und Chemie für Mediziner spielte die Vorlesung zur Einführung in die Anatomie eine Nebenrolle, die Veranstaltungen, die uns einen Einblick in die klinische Medizin gewähren sollten, waren allenfalls Statisten – wenn sie überhaupt ins Bild gerieten.

Vor lauter Aufregung ob der vielen neuen Menschen und Orte, der Entdeckungen, die es an der Universität und in der Stadt zu machen galt, der Gemeinheit, im Medizinstudium chemische und physikalische Praktika absolvieren zu müssen, und der eigenen Wohnungen, die viele von uns zum ersten Mal bezogen hatten, gerieten auch Freude und Stolz darüber, Medizin zu studieren, schnell in den Hintergrund. Wer weiß, welches Studienfach ein Außenstehender angenommen hätte, hätte er unseren Alltag beobachtet? „Medizin“ bestimmt nicht, wahrscheinlich wäre er ratlos gewesen.

Zwar mussten auch wir einander manchmal daran erinnern, dass wir Medizin studierten, nie aber vergaßen wir, was uns im zweiten Semester bevorstand.

Und dann endlich war es soweit, zogen wir unsere Kittel an, stopften die Skalpellklingen und Einmalhandschuhe, die uns die Fachschaft verkauft hatte, in die Taschen und drängten in den Waschraum, der an den Präpariersaal grenzt. Während einige durchatmeten, sich unbeteiligt gaben und zielstrebig auf ihren Tisch, die Dozenten und Studenten höherer Semester, die uns erwarteten, zugingen, wurden andere langsamer, vermieden den Blick auf die noch in Tücher gehüllten Körperspender und wandten sich geschäftig ihren Kitteln und Schuhspitzen zu. Wahrscheinlich ist es im Saal nachher nie wieder so still gewesen wie in diesen Minuten. Als sich jeweils zwölf von uns um einen Tisch versammelt, ein Herz gefasst, die Körperspende aufgedeckt und die ersten sie zaghaft berührt hatten, brach sich hier und da ein Grinsen, vielleicht auch ein blöder Spruch Bahn.

Wie nennt man seinen Körperspender?

Selbstverständlich hatte es im Vorhinein geheißen, wir sollten den Körperspendern mit Respekt begegnen, ihre Würde wahren, keine Fotos machen und so weiter. Wer hätte dem widersprochen? Aber wie die Körperspenden innerhalb dieser weiten Grenzen tatsächlich behandelt und wie über sie gesprochen werden durfte, wie wir sie behandeln und über sie sprechen wollten, galt es jetzt zu entscheiden. Dass der eine das Unterhautfettgewebe mit Rührei verglich, war dem anderen unerträglich. Dass ich unserer Körperspenderin die Hand auf die Schulter legte, als schlafe sie bloß, mag manchem zynisch vorgekommen sein. Und wie sollten wir über den Menschen sprechen, der da vor uns lag und dessen Namen wir nicht kannten? Als „Körperspende“, als „unserer Körperspenderin“ oder „unserem Körperspender“, als „der Guten“ oder „dem Typen“?

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