Für Historiker ist das Gesetz eine Katastrophe

Über den Köpfen der meisten promovierten Wissenschaftler schwebt das Damoklesschwert eines baldigen Vertragsendes. Dies gilt auch im Fach Geschichte. Dort waren laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 2399 Personen oder knapp 72 Prozent der Historiker an den Universitäten befristet beschäftigt. Seit dem Inkrafttreten der Befristungsgrenzen (in der Novelle des Hochschulrahmengesetzes von 2002, im WissZeitVG von 2007) ist also nach 20 Jahren kein gegenläufiger Trend erkennbar.

Verbessert hat sich nichts, vielmehr haben sich die Aussichten seither dramatisch verschlechtert. Denn Arbeitsbedingungen und Zukunftsaussichten werden nicht durch Befristungsverbote geschaffen, sondern durch Stellen. Diese aber sind seit Jahren rückläufig: Von 2005 bis 2020 schrumpfte der Anteil von Professorenstellen von 30 auf 20 Prozent der wissenschaftlichen Stellen an Hochschulen. Viele Länder sparen an ihren Universitäten. Unbeeindruckt von den Befristungsverboten des Bundes legen sie immer schlechtere Strukturpläne auf und lassen sich die mangelnde Grundfinanzierung durch Drittmittel und Exzellenzmittel des Bundes ausgleichen. Auch im Fach Geschichte beruhte das moderate Wachstum wissenschaftlicher Stellen in den letzten Jahrzehnten darauf, dass Historiker Drittmittelprojekte eingeworben haben.

So nahm der Anteil befristeter Beschäftigung also in Wirklichkeit zu. Das bisherige WissZeitVG war im Fach Geschichte nicht viel mehr als ein Störfaktor. Der arbeitsrechtliche Bezugsrahmen des WissZeitVG passte nie zu den Bedürfnissen des Faches. Hinzu kam in all den Jahren die Willkür bei der Anwendung des Gesetzes durch Verwaltungen. Diese versuchen sich vor unerwünschten Einklagen zu schützen. Bei der Evaluation des WissZeitVG beklagten sich knapp 50 Prozent über Rechtsunsicherheit bei ihren Verwaltungsentscheidungen.

Berufsziel Professur als Privileg für immer weniger Historiker

Das neue Gesetz in seiner jetzigen Fassung würde die Bedingungen für promovierte Historiker sehr stark verändern. Nur eine sehr kleine Minderheit konnte in den letzten zwei Jahrzehnten die neuen Förderformate nutzen und als Nachwuchsgruppenleitende und Juniorprofessoren ein eigenes Projekt durchführen und dort Promovierende betreuen. In vielen Fällen ersetzen Juniorprofessuren allerdings Professuren, denn Juniorprofessuren sind sehr viel billiger – und haben keine promovierten Mitarbeiter. Dennoch gab es 2020 nur 43 solcher Juniorprofessuren in Deutschland! Auch ist die Zahl der W2- und W3-Professuren seit 2002 gesunken; zudem wurde auch deren „Ausstattung“ mit Assistenzen im Fach Geschichte vielerorts stark gekürzt.

Daher ist der traditionelle Karriereweg der Assistenz heute für viele verschlossen. Überdies werden in dieser Phase wegen der Höchstbefristungsdauer mindestens zwei, wenn nicht sogar mehr befristete Arbeitsverhältnisse eingegangen. Daneben hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten für Promovierte die Parallelkarriere in Drittmittelprojekten und Forschungsverbünden etabliert. Hier sind die Arbeitsbedingungen sehr unterschiedlich, vielfach mit der Nebenwirkung, dass Zeit für das eigene Forschungsprojekt fehlt. Dem Zugewinn an internationalen Forschungskontakten auf diesem Karriereweg steht überdies geringe Lehrerfahrung gegenüber. Vielfach kompensieren dies Projektmitarbeiter durch freiwillige Mehrarbeit (aka Selbstausbeutung) mit Lehraufträgen. Der Weg zur Habilitation dauert im Fach im Durchschnitt elf Jahre und wird meist erst im Alter von 43 Jahren erreicht. Über die Gründe kann man trefflich spekulieren. Gewiss ist nur, dass im Fach Geschichte die disziplinären Qualitätsstandards und akademischen Routinen unbeeindruckt vom Druck des Bundes weitergeführt worden sind.

Für die allermeisten Promovierten haben sich also durch Gesetzes- und Sparauflagen die Chancen gleich zweimal verringert. Altersbegrenzungen zum Beispiel beim Wanka-Programm haben zusätzlich den Kreis der Berufbaren zulasten älterer und länger im Fach Tätigen eingeschränkt. Die Reform des WissZeitVG verschärft die Nachteile derer, die den Königsweg zur Professur nach den alten Regeln eingeschlagen hatten und nun mit einer erneuten Verschärfung der Höchstbefristungsgrenzen konfrontiert werden. Das Berufsziel Professur ist zu einem Privileg für immer weniger Historiker geworden. Der Weg dorthin wird zunehmend schlechter planbar. Eine Professur ist durch sehr gute wissenschaftliche Leistungen allein nicht zu erreichen. Zufall, kleine Altersunterschiede und Geschlecht spielen eine lokal je unterschiedliche Rolle. Für die Betroffenen muss das wie eine zynische Lotterie wirken.

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