Förderschulen fangen Kinder mit Lernschwierigkeiten auf

Es ist morgens um halb neun im Klassenzimmer der 5a der Johann-Hinrich-Wichern-Schule in Frankfurt Die elf bis zwölf Jahre alten Kinder kämpfen gegen ihre Müdigkeit – es ist einer der seltenen Fälle, in denen sie alle dasselbe Problem haben. Je länger der Tag dauert, desto deutlicher zeigen sich die unterschiedlichen Schwierigkeiten. Die einen können sich nicht konzentrieren, die anderen verstehen eine Frage erst beim dritten Mal, und ein paar sind erst vor Kurzem nach Deutschland geflohen. Dazu kommt, dass kaum zwei Schüler der 5a aus dem gleichen Land stammen – die Familien einiger stammen aus Deutschland, bei anderen aus Marokko, Ghana, Eritrea, Afghanistan, Äthiopien, Polen oder Italien.

Die Klassenlehrerin Yordu Kahsay möchte ihnen allen etwas beibringen. Heute erst ein bisschen Mathe, nach der Pause Ethik, und zuletzt steht für die zwölf Schüler eine Stunde „soziales Lernen“ auf dem Plan. Regentropfen treffen auf die Fenster, die durch angeheftete Papier-Tannenbäume noch an die Weihnachtsferien erinnern. Der Pausenhof der im Stadtteil Eschersheim gelegenen Förderschule ist menschenleer, die Klassen sind prall gefüllt. Es riecht nach nassen Schulranzen und nach Filzstiften.

„Das ist eine Herausforderung“

„Kennt jemand eine Zahl zwischen null und hundert?“, fragt Kahsay. Sie sitzt auf einem schwarzen Lederstuhl am Pult, ihr Blick auf die zwölf Schüler ist liebevoll, ihre Haltung selbstbewusst. Mehrere Arme schnellen nach oben, andere bleiben träge auf dem Tisch liegen. Kahsay senkt den Blick auf die zweite Reihe. „Wie sieht es mit dir aus, Henri?“ In Gedanken versunken, wackelt Henri auf seinem Stuhl. Dann hält er inne, neben ihm eine Integrationshelferin, die ihm beim Mitarbeiten hilft. „70“, antwortet er entschieden.

Eine Herausforderung: Obwohl jeder Schüler seine eigenen Bedürfnisse habe, werde versucht, alle Kinder im Unterricht einzubinden.


Eine Herausforderung: Obwohl jeder Schüler seine eigenen Bedürfnisse habe, werde versucht, alle Kinder im Unterricht einzubinden.
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Bild: Lando Hass

Manche Kinder können die 70 schon schreiben, manche nicht, erzählt Kahsay, während sie nach dem Unterricht Ma­gnete von der Tafel entfernt. Ihr dunkler, weicher Teint hebt ihre feinen Gesichtszüge hervor. Sie versuche im Unterricht alle Kinder einzubinden, obwohl jeder Schüler seine eigenen Bedürfnisse habe. „Das ist eine Herausforderung“, sagt die Lehrerin und bleibt für einen Augenblick ganz ruhig. „So schaue ich anfangs immer, dass wirklich alle Kinder mit einer allgemeinen Fragestellung einer Aufgabe aktiviert werden und mitmachen können.“ Danach folge eine individuelle Arbeitsphase, wo jedes Kind für sich arbeite. Die Kinder rechnen, schreiben, schneiden, grübeln, zweifeln und kleben dann – und das unterschiedlich schnell. „Das ist auch okay, denn sie sollen sich nicht untereinander vergleichen, sondern sich eigene Ziele setzen und versuchen, diese zu erreichen.“

Zurück im Matheunterricht stellt sich Kahsay vor die Klasse und konfrontiert die zwölf Schüler mit der von Henri ausgewählten 70: „Wie viele Zehner, wie viele Einer hat die Zahl? Ist die 70 gerade oder ungerade?“ Die Lehrerin erntet verwirrte Blicke. Manche Kinder entscheiden sich fürs Raten und rufen rein, manche resignieren. Leon brummt in der letzten Reihe wie ein Motor und spielt fasziniert mit seiner Wasserflasche.

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