Erst der Dieb, dann die Arbeit

Oft sind Kolumnen humorvolle, originelle, symbolische, erhellende (und so weiter) Geschichten, nach deren Lektüre man sich fragt: Ist das wirklich so passiert? Diese hier ist allerdings real, eins zu eins, hundert Prozent: Ein super Frühlingsmorgen letztens, milde Temperatur, etwas Sonne, ideal, um aufs Rad zu steigen, dem Büro entgegen. Dann der Schreck: Der Hinterreifen ist geklaut!

Ein jämmerlicher Anblick, so ein Rad mit nur noch einem Reifen. Gut, hilft ja alles nichts, auf zur U-Bahn, eine Schande an so einem schönen Tag. Und siehe da, auf dem Weg dorthin montiert jemand in einer stillen Ecke ein sehr vertrautes Hinterrad an sein Fahrrad. Kurzer Hinweis an den Unbekannten: Den Reifen kenne ich doch, wurde mir ganz in der Nähe geklaut, her damit! Die Antwort, verdächtig kleinlaut: „Nein, nein, alles meins, Fahrrad und Reifen, ehrlich.“ Nie im Leben! Aber was tun, wenn der andere leugnet? Ein Trick hilft: „Okay, wie viel?“ Für den geklauten Reifen, logisch. Die Antwort („fünf Euro“) kommt schnell, dann erst dämmert ihm, dass sie ein Geständnis ist.

Ein Dieb mit schlechtem Gewissen

Danach folgen: eine Geschichte über Drogensucht (länger her) und Gefängnis (ebenfalls), ein glaubwürdig schlechtes Gewissen („Tut mir wirklich so leid“), großer Dank (dass die Polizei aus dem Spiel bleibt) und nützliche Tipps für das Abschließen von Fahrrädern („Nie nur den Rahmen anketten, immer auch das Hinterrad“). Er trottet währenddessen freiwillig mit zurück zum kürzlich amputierten Fahrrad, baut auf Wunsch den Hinterreifen gekonnt wieder ein, nimmt die fünf Euro, entfernt sich. Er heiße Werner – und nichts für ungut. Ist schon okay, Werner. Fünf Euro für ein unerwartetes Happy End, ein trotz allem freundliches Gespräch und eine selten beschwingte Fahrt zur Arbeit. Fühlt sich nicht zu viel an. Vielleicht liegt’s auch am Frühling.

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