Digitalisierung in Schulen: Schaden die digitalen Medien?

Die Empörung war groß, als das Bundesministerium für Bildung und Forschung vergangene Woche seine Finanzierungszusage für die Fortsetzung des Digitalpakts nicht geben wollte. Liest man die neue Stellungnahme des Stockholmer Karolinska-Instituts zu den Folgen der Digitalisierung für den Schulunterricht, dann muss man dem Ministerium eigentlich gratulieren. Die schwedischen Wissenschaftler lassen nämlich keinen Zweifel daran, dass digitale Medien den Schülern nicht nützen, sondern schaden. Das Leseverständnis und die Erinnerung an das Gelesene nähmen auf dem Bildschirm um mehr als dreißig Prozent ab, die Materialsuche der Schüler im Internet sei den klassischen Lehrbüchern klar unterlegen, und die Annahme, dass Digitalisierung den Schülern nutze, sei durch keine wissenschaftliche Expertise gestützt.

Für die Erkenntnis, dass digitale Geräte die Zerstreuung im Klassenzimmer fördern, braucht man eigentlich keine Wissenschaft. Nach jahrzehntelangem Lobbyismus der Bertelsmann-Stiftung und anderer Interessenvertreter sind der Politik aber grundlegende Zusammenhänge abhandengekommen. Routiniert wird das Hinterherhinken Deutschlands bei der Digitalisierung der Schulen beklagt. Dabei hatte schon vor Jahren die Stavanger-Studie, eine riesige Metastudie zum digitalen Lesen, ganz ähnliche Ergebnisse wie das Karolinska-Institut vorgelegt. Im Prinzip sind der Politik die wissenschaftlichen Zweifel am Nutzen digitaler Medien für den Unterricht bekannt. Expertise wird aber oft nur dann in Anspruch genommen, wenn sie die politische Agenda stützt.

Wann und wo profitiert der Unterricht vom Einsatz digitaler Lehrmittel?

Die bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, Nicole Gohlke, warf dem Ministerium nach der vertagten Entscheidung Nichtstun und Verschleppungstaktik vor. Auf Nachfrage erklärt sie, dass digitale Lehrmittel nur ergänzend und fachspezifisch sinnvoll seien. Sie fordert vom Ministerium Konzepte und Studien, die das berücksichtigen. Anscheinend ist alles andere als klar, wie und wo digitale Lehrmittel sinnvoll eingesetzt werden. Spätestens seit der Pandemie hat sich die allgemeine Bewertung geändert. Laut der Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz ist der rein digitale dem analogen Unterricht klar unterlegen. Beworben wird nun der ergänzende Einsatz digitaler Medien, ohne dass die Frage geklärt wäre, wann und ob überhaupt der Unterricht von solchen Ergänzungen profitiert.

Die Frage ist von Fach zu Fach unterschiedlich zu beantworten. Dass die Informatik ohne Computer nicht auskommt, ist schwer zu bestreiten. Warum aber empfiehlt die KMK-Kommission, die „digitalisierungsbezogene Grundbildung“ über alle Fächer zu streuen? Braucht man für den Felgaufschwung oder den Quintenzirkel einen Computer? Nach neuerem Konsens der Bildungsforschung müssen vor allem die Lehrer entscheiden, wann der Einsatz digitaler Lehrmittel lohnt. Laut KMK-Bericht bestehen bei vielen Lehrern jedoch Zweifel, dass digitale Medien überhaupt zur Verbesserung des Unterrichts beitragen. Man führt dies auf konservative Beharrungstendenzen zurück. Vielleicht sind die Lehrer aber auch nur erfahrener und unabhängiger im Urteil, weil sie keine politischen und ökonomischen Rücksichten nehmen müssen.

Die aktuelle Zurückhaltung des Bildungsministeriums hat nicht konzeptuelle, sondern finanzielle Gründe. Es ist aber sicher kein Fehler, sich über den allgemeinen und speziellen Nutzen digitaler Lehrmittel im Klaren zu sein, bevor man den nächsten Pakt beschließt.

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