Der sicherste Arbeitsplatz in Deutschland

Es geht ein Gespenst um in Deutschland, das Gespenst der Künstlichen Intelligenz. Welche Stellen werden demnächst wegfallen, weil Algorithmen die Aufgaben schneller, besser, billiger erledigen? Mit dem „Job-Futuromat“ der Bundesarbeitsagentur lässt sich mit einem Klick nachschauen, wie sehr die Technik voraussichtlich die verschiedenen Arbeitsplätze verändern wird.

Sebastian Balzter

Redakteur in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Einen Beruf, für den demnach ganz sicher weiterhin Menschen nötig sein werden, hat Agenturchefin Andrea Nahles jüngst höchstpersönlich hervorgehoben: Die Arbeit der rund 15.000 Hebammen im Land wird so bald kein Roboter, kein Computerhirn über­neh­men. Und wo sind Hebammen besonders gefragt? Im bayerischen Landkreis Dachau. Nirgendwo sonst, heißt es vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, wird die Bevölkerung bis 2040 so sehr zunehmen wie dort.

Die Hebammenpraxis von Elke Schäl im beschaulichen Petershausen bei Dachau ist folglich einer der sichersten Arbeitsplätze in der Republik, gewissermaßen amtlich besiegelt. Als Schäl von der F.A.S. darüber informiert wird, berichtet sie wie zur Bestätigung: Sie sei konstant ausgebucht und würde deshalb zur Verstärkung gerne eine jüngere Kollegin in ihre Praxis aufnehmen, suche aber schon seit einiger Zeit vergeblich.

Elke Schäl in ihrer Parxis in Petershausen im Landkreis Dachau


Elke Schäl in ihrer Parxis in Petershausen im Landkreis Dachau
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Bild: Finn Winkler

Schäl ist 59 Jahre alt, hat ihr komplettes Berufsleben als Hebamme gearbeitet. Sie schätzt, dass sie bis heute rund 3000 Kindern auf die Welt geholfen hat. Jetzt seien es nur noch etwa 30 Ge­burten im Jahr; ganz bewusst weniger als früher, weil sie sich auf Hausgeburten spezialisiert habe und keine Schichtdienste im Krankenhaus mehr übernehme, bei denen mehrere Geburten in einer Nacht keine Seltenheit sind. „Ich brenne auch nach mehr als 35 Jahren noch für meinen Beruf“, versichert Schäl. „Jetzt habe ich mich genau so organisiert, dass ich ihn nach meinen Vorstellungen ausüben kann.“

Der Verlauf einer Geburt ist nicht vorhersagbar

Über die Künstliche Intelligenz hat die Hebamme aus Petershausen sich schon ihre Gedanken gemacht, selbst wenn der „Job-Futuromat“ dazu wenig Anlass sieht und sie bisher auch noch nie einen Verbesserungsvorschlag für ihre Arbeit von einem Computer bekommen hat. Aber in der Medizin halten mehr und mehr datengestützte Diagnosesysteme Einzug. „Ich befürchte, dass das auch bei uns so kommen wird“, sagt Schäl.

„Der springende Punkt ist, ob mir die KI dann nur eine Empfehlung gibt oder ob diese Empfehlung auch bindend wird und ich etwa meinen Versicherungsschutz verliere, wenn ich mich nicht daran halte – weil ich meiner Erfahrung mehr vertraue als dem Computer.“ Für Schäl wäre das eine Fehlentwicklung. Der Verlauf einer Geburt sei nicht vorhersagbar, sagt sie. Zu viel hänge etwa von der Psyche der Mutter ab.

Überdurchschnittlich sicher mag Elke Schäls Arbeitsplatz bis auf Weiteres sein. Herausragend bezahlt wird sie nicht. Für Hausbesuche bekomme sie rund 30 Euro die Stunde, halb so viel wie manche Handwerker. Die Praxismiete sei in den Vergütungssätzen so wenig berücksichtigt wie das Gehalt für die Verwaltungsangestellte, ohne die Schäl nach eigener Einschätzung vor lauter Bürokratie kaum noch zu ihrer eigentlichen Arbeit käme. Sie könne das durch Mehrarbeit ausgleichen, jüngere Kolleginnen mit dem Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung hätten diese Möglichkeit nicht. So kommt es, dass so viele sichere Arbeitsplätze in Deutschland vakant sind: Die Zahl der offenen Stellen für Hebammen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

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