5639 syrische Ärzte arbeiten aktuell in Deutschland. Einer von Ihnen ist Faisal Shehadeh. Der Orthopäde und Unfallchirurg arbeitet am Klinikum Hanau und ist Vorstand der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland e.V. (SyGAAD). Er selbst ist in Aleppo geboren. 2006, noch vor Ausbruch des Krieges, ist er nach Deutschland gekommen, um hier seine Fachausbildung zu absolvieren.
Dass gerade Hessen auf Menschen wie Shehadeh angewiesen ist, wird nach einem Blick in die Statistik deutlich: eine Übersicht der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) zeigt, dass in 24 Gebieten in Hessen die hausärztliche Versorgung nicht sichergestellt werden kann. Bis 2035 werden bundesweit jedes Jahr 9000 Medizinerinnen und Mediziner aus dem Beruf ausscheiden, prognostiziert das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung.
Doch trotz des hohen Bedarfs an Ärzten, sei es auch für Menschen aus dem Ausland, die schon ein abgeschlossenes Studium vorweisen können, kompliziert, bis sie in Deutschland ihre Approbation erhalten, meint Shehadeh. Für ihn sei der Aufwand damals noch überschaubar gewesen. Vor seiner Ausreise hat er bei der deutschen Botschaft in Damaskus ein Visum beantragt. Zusätzlich musste er Sprachtests absolvieren und seine fachliche Eignung unter Beweis stellen. Nach nur wenigen Wochen war alles erledigt. „Aber seit dem Krieg im Jahr 2011 ist alles anders“, sagt er.
Kritik an unterschiedlichen Prüfungssystemen
Denn wer heute als syrischer Arzt in Deutschland arbeiten will, muss zunächst zwangsläufig in einem anderen Land einen Zwischenstopp machen, um überhaupt ein Visum beantragen zu können. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist seit Kriegsbeginn geschlossen. „Die meisten gehen momentan in den Libanon“, mein Shehadeh. „Alternativen sind aber auch die Botschaften in Jordanien, der Türkei oder Ägypten.“ Um überhaupt erst eine Chance auf ein Visum zu erhalten, sind Deutschkenntnisse auf B2-Niveau Pflicht. Und auch eine finanzielle Last müssen die syrischen Ärzte auf sich nehmen. Vor der Einreise müssen auf einem sogenannten Sperrkonto bei einer deutschen Bank circa 12.000 Euro hinterlegt sein.
Die eigentliche Hürde kommt aber erst danach. Im Gegensatz zu Bürgern aus der EU, müssen Mediziner aus Drittstaaten weitere Tests durchlaufen, um als Arzt in Deutschland arbeiten zu dürfen. Bei einer Fachsprachprüfung werden zunächst die Deutschkenntnisse im medizinischen Kontext geprüft. Eine Kenntnisprüfung stellt dann sicher, dass der Antragsteller den erforderlichen medizinischen Wissensstand besitzt, um als Arzt in Deutschland praktizieren zu können.
Das Problem: Es gibt keine bundeseinheitlichen Prüfungen. Die Medizinerinnen und Mediziner werden von den Approbationsbehörden der jeweiligen Bundesländer geprüft. „Die Wartezeiten, um an so einer Prüfung teilnehmen zu können, variieren zwischen drei Monaten und zwei Jahren“, sagt Shehadeh. Abermals fallen Kosten an. Allein die Fachsprachprüfung der Landesärztekammer Hessen wird mit 650 Euro berechnet, die Kenntnisprüfung mit 1.000 Euro.
Gesellschaft mit 60.000 Mitgliedern
Shehadeh ist der Ansicht, dass die verschiedenen Anerkennungsprozesse in den unterschiedlichen Bundesländern das größte Problem für die Ärzte aus Syrien und anderen Drittstaaten seien. „Für ausländische Ärzte ist das System völlig unverständlich“. Sein größter Wunsch an die Politik: die Etablierung eines einheitlichen Prüfungssystems, „damit man planen kann und auch genau weiß, was zu tun ist, wenn man als Arzt aus dem Ausland nach Deutschland kommt“.
Weil das bisher immer noch Wunschdenken ist, gründete Shehadeh 2009 mit anderen syrischen Ärzten, die in Deutschland tätig sind, eine Facebookgruppe. Das Ziel war zunächst, sich gegenseitig bei Fragen zur Einreise und zur Anerkennung von Abschlüssen zu helfen. Schnell schlossen sich immer mehr Menschen an. Die Diskussionen haben sich seither auf Aspekte der Einwanderung und des Lebens in Deutschland ausgeweitet. Mittlerweile hat die Gruppe mehr als 60.000 Mitglieder.
Aus der virtuellen Vernetzung ist dann die Idee entstanden, eine offizielle Gesellschaft zu gründen. 2020 wurde deshalb die „Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland e.V.“ in Frankfurt ins Leben gerufen. „Wir haben drei Ziele: die Vernetzung und die Unterstützung von syrischen Kolleginnen und Kollegen, sowie der Austausch unserer Erfahrungen“, erklärt Shehadeh.
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Diese Ziele werden auch auf dem 2. Jahreskongress der SyGAAD, der am Samstag in Frankfurt unter dem Motto „Deutsches Gesundheitssystem und syrische Fachkräfte: Eine gegenseitige Stärkung“ stattfindet, im Mittelpunkt stehen. Konkret soll es darum gehen, wie finanzielle, kulturelle und sprachliche Herausforderungen, aber auch eine Diskriminierung der syrischen Ärzte am Arbeitsmarkt verhindert werden können. Darüber hinaus werden drei neue syrische Ärzte begrüßt. Sie konnten nur aufgrund eines Stipendiums der SyGAAD im Wert von jeweils 12.000 Euro einwandern. Zu dem Kongress werden etwa 500 Gäste aus Mitgliedern, Interessierten und Sponsoren aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems und er Migrationsforschung erwartet.