Debatte um Pflichtfach: Ein Land im Informatiknotstand

Wer in Deutschland eine Schule besucht, kann vieles lernen. Informatikkenntnisse, die der alles durchdringenden Digitalisierung des Alltags oder der Arbeitswelt angemessen wären, gehören jedoch auch im Jahre 2023 für die Mehrheit der Schüler nicht dazu.

Während zum Beispiel in Griechenland, Ungarn oder Polen schon Grundschülerinnen ein eigenständiges Pflichtfach Informatik im Stundenplan finden, ist das in Deutschland in keinem der 16 Bundesländer der Fall. Zwischen der fünften und der zehnten Klasse erhalten Schüler in einem einzigen Bundesland durchgehend verpflichtenden Informatikunterricht: in Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen ist Informatik immerhin von Klasse 7 bis Klasse 10 eigenständiges Pflichtfach.

In einem Viertel der Bundesländer dümpelt sie immerhin als flächendeckendes Wahlfach vor sich hin, ein weiteres Drittel hält noch nicht einmal ein fakultatives Informatikangebot für alle Schülerinnen und Schüler parat. Dieser Befund ist erschreckend, und dieser Schrecken wird noch größer, wenn man bedenkt, dass seit Jahren über die Ausweitung des Informatikunterrichts debattiert wird, sich dabei aber wenig getan hat und noch weniger verbessert.

Informatikkenntnisse so wichtig wie Mathematik

Nun ist es nicht so, dass der Umgang mit sozialen Medien, mit Software, mit dem Internet, mit Laptops oder Smartphones heutzutage gar keine Rolle an deutschen Schulen spielen würde. Als Querschnittsthema greifen manche Fächer und dann dort vor allem besonders engagierte Lehrerinnen und Lehrer informatorisches Grundwissen in ihrem Unterricht auf und mühen sich, dieses auch an die Schüler weiterzugeben.

Doch gerade weil die Digitalisierung schon jetzt weite Bereiche des Lebens erfasst hat und Algorithmen im Alltag angekommen sind, sollte es bei der Querschnittsvermittlung nicht bleiben – zumal wenn sich Anwendungen weiter ausbreiten, die auf Künstlicher Intelligenz aufsetzen, Stichwort: ChatGPT.

Im seit einigen Jahrzehnten laufenden Informationszeitalter haben Informatikkenntnisse einen ähnlichen Stellenwert wie mathematisches Wissen. Und das überlässt das Schulsystem ja auch aus gutem Grund nicht als Nebenprodukt Fächern wie Physik, Chemie oder Wirtschaft, nur weil die Schüler dort ab und zu rechnen. Ob nun Pflicht oder nicht – auf eines sollten Eltern und deren schulpflichtige Kinder jedenfalls nicht hoffen: dass der Informatiknotstand im Land allzu schnell gelindert werden wird.

Im Gegenteil, die Misere könnte sich bis Ende des laufenden Jahrzehnts sogar verschlimmern. Das liegt an der Trägheit des föderalen Schulsystems in Deutschland. Zwar wollen das Saarland, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen vom nächsten Schuljahr an ein Pflichtfach Informatik an ihren weiterführenden Schulen einführen – aber nur nach und nach. Bis es also für alle Klassenstufen so weit ist, werden weiter ganze Jahrgänge die Schule ohne dezidierte Informatikkenntnisse verlassen.

Grundregel: Es wird mit Daten gezahlt

Hinzu kommt der Lehrermangel. In der MINT-Fächergruppe aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ist er im Vergleich zu anderen Fächergruppen ohnehin groß, ganz besonders eklatant zeigt er sich aber in der Informatik. Laut einer Prognose der Telekom Stiftung kann zum Beispiel Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2030/31 den dann notwendigen Einstellungsbedarf an Informatiklehrern an weiterführenden Schulen nur zu einem Bruchteil decken. Tritt dieses Szenario tatsächlich ein, werden von 100 ausgeschriebenen Informatiklehrerstellen im bevölkerungsreichsten Bundesland 94 unbesetzt bleiben. Laut der Studie könnte der Mangel in anderen Bundesländern ähnlich gravierend ausfallen.

Wer seine Kinder mit Informatikwissen ausstatten will, muss deshalb selbst aktiv werden. Dazu gehört anfangs, sein eigenes Verhalten im digitalen Raum zu hinterfragen – und sich die Grundregel des Internetzeitalters abermals zu vergegenwärtigen: Sind ein Dienst oder eine Software kostenlos, zahlt der Nutzer mit seinen Daten – und ist selbst oft das Produkt.

Auch wem das allzu bekannt vorkommt: Diese Erkenntnis ist der erste Schritt aus der unverschuldeten informatorischen Unmündigkeit – von Eltern und Kindern. Ein nächster wäre, dass die Erziehungsberechtigten ihr Informatikwissen erweitern, zum Beispiel mithilfe von Einsteigerliteratur. Dann könnten Kinder und Eltern mit spezieller Software oder Apps gemeinsam spielerisch Grundlagen in Algorithmik und Programmierung legen. Am Ende könnte ein bezahlter Kurs stehen. Das alles kostet Geld und Zeit, ist mühsam, aber eben auch sinnvoll – und vielleicht macht es sogar Spaß.

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