Sie wussten von Anfang an, dass Sie nicht alles erzählen können. Für ein Sachbuch ist das aber ein Problem.
Weniger für das Buch als für unsere Gesellschaft. Es ist problematisch, dass der ganze Bereich so abgeschottet ist, dass man nicht offen über Problemlagen im Inneren sprechen kann. Mein Ziel war es nicht, ein Enthüllungsbuch zu schreiben – ich bin keine investigative Journalistin. Mein Ziel ist es, etwas daran zu ändern. Dass mich die Intransparenz stört, habe ich deutlich gemacht. Und das ist etwas, was Politiker ändern könnten und sollten.
Ein Kapitel Ihres Buches handelt vom Lobbyismus der Finanzindustrie. Wie haben Sie diesen als Staatsanwältin erlebt?
Zum einen kann man sich fragen, aus welchem Grund die Behörden gerade hier so schlecht aufgestellt sind. Wir wissen zum Beispiel, dass Betriebsprüfer viel mehr Geld hereinholen, als ihre Gehälter den Steuerzahler kosten, und trotzdem ist ihre Zahl gesunken. Im Strafverfahren habe ich zudem ganz konkret erlebt, wie enorm groß die Gegenwehr der Finanzbranche ist.
Wirtschaftskriminelle leisten sich immer öfter auch PR-Berater und versuchen, die öffentliche Meinung und Entscheidungen der Justiz durch Medienkampagnen zu beeinflussen. Es wird beispielsweise behauptet, die Staatsanwaltschaft sei unverhältnismäßig vorgegangen und der Täter sei Opfer einer politisch motivierten Verfolgung.
Sind Politiker diesem Druck der Finanzindustrie gewachsen?
Ich glaube, es ist für Politiker gar nicht so einfach. Nicht jeder ist Finanzmarktexperte, und in einem fachlich komplizierten Bereich ist man anfälliger für Beeinflussung oder sogar Manipulation. Die Finanzbranche arbeitet im Wesentlichen mit falschen Narrativen. Zum Beispiel wird behauptet, Cum-Ex sei nur ein überbewertetes Problem, verursacht von einer kleinen Gruppe schwarzer Schafe.
Wie jeder andere Mensch, sind auch Politiker manipulierbar.
Anne Brorhilker, Finanzwende e. V.
Außerdem seien die Gesetze unklar gewesen. Das hört sich plausibel an, wir alle finden ja Steuerrecht erst mal kompliziert. Wenn man das Milieu nicht kennt und nicht weiß, dass es eine ganze Cum-Ex-Industrie gab, verfangen solche Manipulationen. Deswegen muss man aufklären, wie es wirklich war.
Noch mal: Lassen sich Politiker manipulieren und treffen eher Entscheidungen im Sinne der Finanzindustrie als im Sinne der Bürger?
Ja, natürlich. Wie jeder andere Mensch, sind auch Politiker manipulierbar. In der Vergangenheit gab es keine laute zivilgesellschaftliche Stimme, denn Finanzwende e. V. gibt es erst seit 2018. Was es aber immer gab, war die laute Stimme der Finanzlobby. Das hätte uns daher allen passieren können: Man muss Entscheidungen in einem Bereich treffen, den man nicht gut kennt, und dann kommt eine Armada hilfsbereiter „Fachleute“ auf einen zu, die einen mit falschen Erzählungen bombardieren. Inzwischen halten wir von Finanzwende e. V. zwar dagegen, aber wir sind immer noch viel kleiner als die riesige Finanzlobby, die fast 40 Millionen Euro im Jahr dafür ausgibt.











